9.11.2020. Münster hat 65.000 Studenten. Das ist über ein Fünftel der Stadtbevölkerung. Im Sommer 1971 gehörte ich dazu. Aber das reichte. Zu viele Studenten, zu wenige Arbeitsangebote später. Außerdem zwei laute Witze: Die „Propädeutik-Kurse“ in Deutsch und Englisch. Vorbereitungskurze für junge Menschen, die gerade eine neunjährige Schulzeit in diesen Fächern hinter sich hatten. Der Grund war die Überfülle an Bewerbern, die man verringern wollte. Die Kurse bestanden aus Vokabelkunde und Grammatik. In Englisch ein echter Witz. Und das Althochdeutsche war eine längst tote Sprache. Trotzdem war das Pflicht, die Voraussetzung für ein abgeschlossenes Studium war ein Seminarschein mit Noten. Danach bin ich gegangen, für immer. Und habe das nicht bereut.
In einem großen Beamten-Konzern waren noch Stellen frei. Drei volle Jahre Ausbildung! Wenn man nicht zwischendurch eingeschlafen war.
Danach, mit 24 Jahren, gleich die Praxis. Kleine Führungsstellen in der Provinz. Die ersten Einblicke in hinterhältige Intrigen und Machtkämpfe. Dann kam eine kleine Hausverwaltung. Viel später die Betreuung sämtlicher Konzern-Immobilien in einer Großstadt. Das waren spannende., anregende Zeiten mit freundlichen Menschen und Millionärs-Kunden. Aber auch der Wilde Westen. Mit scharfer Munition aus dem Hinterhalt. Erstaunlicherweise nicht mit gleichrangigen Kollegen, sondern mit Vorgesetzten, die ihre Herrschaftsbereiche mit eiserner Hand führten. Und viele Freunde hatten, die genauso waren.
In Münster war das noch gemäßigt, überschaubar. Weil sich Alle gegenseitig kannten. Also war Vieles durchsichtig. Trotzdem ist Arbeit immer mit normaler Anstrengung verbunden.
Dafür gab es die Freizeit. Abwechslungsreiche Lokale. Ein historisches Stadtzentrum. Ein Stadttheater mit herausragenden Operninszenierungen. Die Regie führte meistens Karl-Erich Haase, der vorher Assistent von Wieland Wagner war und dessen Ideen auf alle Klassiker ausdehnte: Fidelio. Aida. Herzog Blaubarts Burg. Und viele andere Meisterwerke. Mit ein paar Solisten war ich befreundet. Wir besuchten uns gegenseitig. Wenn ich drinnen im Zuschauerraum saß, winkten sie beim Schlussapplaus herüber.
Ging man von der Stadtmitte mit ihren alten Giebelhäusern nach Hause, kam unterwegs das Studentenviertel. Ein gemütliches Lokal neben dem anderen, originell, für junge Leute, mit zumutbaren Preisen.
Auf der anderen Straßenseite, an der Promenade, stand der Buddenturm. Ein Teil der längst abgerissenen Stadtmauer. Ein überschaubarer Platz mit Bäumen, Büschen, Bänken. Tagsüber voll mit Familien. Abends, vor Allem im Sommer, ein Treffpunkt für Schlaflose, die nach dem letzten Bier noch nicht nach Hause wollten. Dort konnte man einen eigenen Bekanntenkreis finden. Ich wohnte nur zehn Minuten Fußweg entfernt. Also konnten die Nächte auch lang werden.
Die meisten waren Eintagsfliegen, aber es gab auch jahrelange Freundschaften. As es im Herbst 1987 Zeit wurde, die Stadt zu verlassen, konnte man aussuchen. Die letzten Besuche waren die besten. Es waren nicht immer glückliche Menschen. Eine kurze letzte Begegnung gab es am Stehtisch eines Kaufhauses. Noch ein Blick. Ein Gruß. Kein Wort. Dann blieb das Alles zurück. In München warteten ganz neue Bilder. Und wirklich nicht nur schöne.
Aber man vergleicht immer besser und begreift immer schneller. Darum ist der jetzige November keine Trauerzeit. Aber man nimmt Abschied vom Hochsommer, von bayerischen Traumstädten und Horrorgestalten. Eine gute Mischung. Auch die Einmischungen sind geringer geworden. Die Belästigungen. Über deren Strafbarkeit habe ich hier viele Artikel geschrieben. Und Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.
Kürzlich habe ich meine digitalisierten Privatfilme wieder entdeckt, die im Jahr 1976 begannen. Einige sind auch für eine Veröffentlichung geeignet, leider dann auch für böse Augen. Die muss Keiner anschauen, weil das Zeitverschwendung wäre. Aber man trennt immer mehr zwischen Wichtigem und Unwichtigen. Da bleibt dann noch Viel übrig, das auch allgemein interessant ist.
Diese Webseite hatte gestern 418 Seitenaufrufe. Kein Grund zur Wichtigtuerei. Schon in Münster kannten mich viel mehr Kollegen als ich sie, weil ich die Fahrpläne für die gesamte Region gestaltet habe. Dabei gab es kaum Ärger, im Gegenteil. Aber München ist da ein ganz anderes Pflaster, weil die Dimensionen sehr viel größer sind. Das hat nicht nur Vorteile. Aber auch hier gibt es genug Menschen, an die ich mich gern erinnere. Und sie vielleicht auch.
………. Münster, Am Buddenturm

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