Betrunkene Alpenveilchen 1995

19.12.2021. Am Faschingsdienstag 1995 gehörte ich noch zu den schlaflosen Nachtschwärmern in München, die zu oft, bis zum frühen Morgen unterwegs waren, in überfüllten Bierlokalen. Diesmal war es anders. Die drei tollen Tage vorher hatten gereicht, mit Schunkelmusik und neuen Bekannten, die man sofort wieder vergessen sollte. Aber frühmorgens um 2.00 Uhr war ich hellwach und wollte noch etwas erleben. In einem schummerigen Lokal saßen noch die letzten, betrunkenen Alpenveilchen. Eines hatte mir schon seit November 1987 gefallen, nach den ersten zwei Monaten in München. Aber das Veilchen war immer umringt von Bewunderern, überall bekannt, und dann riskiert man Streit, obwohl das Gesamtangebot damals sehr groß war. Jetzt aber hing das Alpenveilchen mit halb geschlossenen Augen an der Theke und schaute mich plötzlich an. Das reichte, und schon stand ich daneben. Es gab nur einen kurzen Dialog. Ich fragte: „Willst du noch lange bleiben?“ „Nein.“ „Dann warte ich draußen vor der Tür.“ Dort dachte ich, es wäre nur ein kurzer Traum gewesen. Aber dann öffnete sich die Tür tatsächlich, und wir liefen zehn Minuten weiter, bis zur Alpen-Wohnung. Dort waren die beiden Zufallsbegegnungen plötzlich wieder hellwach, bis um fünf Uhr früh. Dann musste ich zum Duschen, zur Arbeit, weil es kein Urlaubstag war. Mitbekommen vom ganzen folgenden Tag habe ich nicht viel, bin aber öfter spazieren gegangen, damit Keiner etwas merkte.

Vom Alpenveilchen hatte ichauch  die Telefonnummer bekommen, und danach haben wir uns jeden Monat mindestens einmal getroffen, bis zum Februar 2016. Da gab es keinen Streit, aber es war war einfach die Luft raus. Ich war schon seit sechs Jahren in einem öffentlichen Internet-Forum aktiv, wo ständig Krieg herrschte und ich massiv beleidigt wurde, bis es reichte. Im August 2016 bekam ich, nach zehn Jahren auf der Warteliste, endlich wieder  auch eine Eintrittskarte für Bayreuth. Das „Rheingold“ war langweilig, aber meine zweite Karte verkaufte ich billig an einen Studenten, vor dem Ansichtsladen.

Natürlich hatte ich gehofft, dass wir uns anschließend über die Vorstellung unterhalten, aber er zog sofort mit einem wartenden Freund weiter. Unhöflich, aber die Gäste am Festspielhügel sind öfter so und können sich nicht benehmen. Das war dann auch egal. Außerdem brauchte ich die jahrelange Warteliste nicht mehr. Ein Bekannter von der Münchner Staatsoper musste niemals warten und gab mir den einfachen Tipp: Bestellung bei der Gewerkschaft. Dort gab es zwar nur wenige Opernfreunde aber umso mehr Karten, die man sich aussuchen konnte. Außerdem begannen die Vorstellungen eine Stunde früher, weil der letzte Zug nach Nürnberg schon um 22.30 Uhr abfuhr, wenn am Hügel erst der Vorhang fiel. Jeder, der dann noch bleiben wollte, musste ein Hotel nehmen, zur Saison besonders teuer. Und ein teurer Wein als Absacker gehörte auch dazu, außerdem Spaziergänge am nächsten Morgen durch die Stadt, die immer ausgezeichnete Fremdenführer hatte. Ein perfektes Geschäftsmodell, wenn auch mit einem leichten Beigeschmack. Denn zu allen Premieren wurden vorrangig Prominente eingeladen, die vor den Fernsehkameras wirkungsvoll und kostenlos auftraten, kostenlos, mit einer Einladung der Stadt.

Aber kein Grund zur Beschwerde. Wolfgang Wagner sorgte dafür, dass die Preise nicht überkochten. Außerdem mussten sich die härtesten Wagnerfreunde seine Inszenierungen ansehen. Das war dann die kosmische Universal-Strafe, für alle unverdiente Privilegien. Seine Tochter Katharina wurde Nachfolgerin und hat oft mit mir im Internet diskutiert, natürlich unter dem berechtigten Schutz eines Pseudonyms. Wie man solche Geheimnisse knackt, ohne technische Hilfsmittel und schmutzige Tricks, habe ich schon öfter hier erklärt, leider auch in Bayreuth damit mir nicht immer Freunde gemacht. Sie haben lieber auf jedes gemeinsame Wort verzichtet, weil sie sowieso an den Schalthebeln saßen.

Das Alpenveilchen vom Faschingsdienstag 1995 hatte kein Interesse an Opern, war aber öfter Gast in der Münchner Staatsoper. Dort muss man auch gar nicht die Musik kennen oder lieben, kann sich aber attraktiv zeigen und und in Festkleidung bewundern lassen. Seit zehn Jahren interessiiert mich das Theater überhaupt nicht mehr, auch nicht der Sekt und das knisternde Geraschel drumherum. Das Alpenveilchen habe ich seit dem Februar 2016 nicht wiedergesehen, erinnere mich aber gern daran. Und Alles wird wieder lebendig, wenn ich in alten, halb vergessenen Aufzeichnungen lese, seit meiner Jugend 1965 bis zum August 2000, als ich gleichzeitig, zum ersten Mal im Internet unterwegs war. Die Einzelheiten interessieren Niemand, aber die Bewertung kann interessant sein, für Jeden, der das will.

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