3.7.2021. München, Nürnberg, Würzburg sind nur drei Beispiele für die alten Städte, die beim Kriegsende 1945 total zerstört waren. Die Stadtzentren wurden danach teilweise wieder so aufgebaut, wie sie Jahrhundertelang ausgesehen hatten. Frankfurt entschied sich aber für Wolkenkratzer und bekam deshalb den Spitznamen „Mainhattan“, eine Anspielung auf die New Yorker Geldzentrale in Manhattan. In Münster sorgte der Architekt Harald Deilmann (1920 – 2008) für Aufsehen. Er bevorzugte Gebäude aus grauem Sichtbeton, ohne Ornamente und schuf in mehreren Städten sogar die Rathäuser. In Münster war sein Büro im bester zentraler Lage, am historischen Prinzipalmarkt. Dieser wertvolle Platz mit jahrhundertealten Giebelhäusern wurde in allen Details wieder rekonstruiert. Deilmann konnte das nicht verhindern. Er war eher ein Vertreter des „Bauhauses“, 1919 in Weimar von Walter Gropius aufgebaut. Historische Schnörkel und Dekorationen galten als altmodisch, obwohl ihre Vielfalt das Auge der Betrachter erfreute. Die Gebäude sollten nur noch zweckmässig sein, mit preiswerten Materialien und einfachen Formen, wie Schuhschachteln im Warenregal. Die Großstädte wurden von solchen Stadtvierteln umzingelt, die sich auch in der nächsten Zukunft nicht abreißen lassen.
Italien erlitt vergleichsweise wenige Zerstörungen. Das „Centro Storico“, das historische Stadtzentrum, sieht oft immer noch genauso aus wie vor 400 Jahren. Nur in Rom haben die Bürger sich reichlich selbst bedient. Deshalb sind weltberühmte Denkmäler heute nur noch Ruinen. Der zentrale Marktplatz, das Forum Romanum, und die endlosen Wohnviertel am Stadtrand sehen so aus wie Ruinen vom deutschen Bauhaus.
Die Nachkriegspolitik in Italien beschäftigte sich nicht an erster Stelle mit Architektur. Giulio Andreotti (1919 – 2013) stand während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zentrum der italienischen Politik. Er war auf verschiedenen Ministerposten an insgesamt 33 Regierungen (von 54 zwischen 1945 und 1999) beteiligt und dabei sieben Mal italienischer Ministerpräsident. Das ist zu lange. Tatsächlich litt die gesamte Politik unter der Unbeweglichkeit. Die Volkswirtschaft bekam eine starke Schieflage. Südlich von Neapel dominiert immer noch die Landwirtschaft, die auf dem Weltmarkt immer mehr unter Konkurrenzdruck geriet. Massenhaft wanderte die Bevölkerung aus. So wie im 19. Jahrhundert nach Nordamerika (USA), rollten Gastarbeiter ab 1963 über die Alpen nach Deutschland. Und blieben dort. Nicht nur im Ruhrgebiet und München freute man sich darüber. Es gab insgesamt genug Arbeit und Geld. Erst ab den Achtziger Jahren kamen ganz neue Probleme. Der gesamte kommunistische Ostblock brach zusammen und die dortige Zwangsherrschaft auch. Gewalt gab es dabei nicht, aber plötzlich waren auch die Wendehälse von vorgestern im Westen. Mit ihren Zeitgenossen erkennt man sie am sächsisch-thüringischen Dialekt. Wer von früher schwärmt, war damals auch in der, für ihn richtigen Partei. Die anderen sind auch da und erzählen viel. Ein Bild davon kann sich Jeder selbst machen, die Alltagssprache erzählt lange Geschichten, die in den verwendeten Wörtern gar nicht enthalten sind. Ein eigenes Universum, das immer noch nicht richtig erforscht ist.
Vor über dreißig Jahren traf man überall die fleißigen Menschen vom Mittelmeer. Aber der Zahn der Zeit hat auch an ihnen gefressen. Eine starhlende Schönheit kann zerbröckeln. Wenn der Lack ab ist, schaut man hinter die Oberfläche. Schön ist das nicht immer. Der Grund können persönliche Misserfolge sein. Oder Bürgermeister aus der Provinz, die sich überall umschauen und Andenken mitnehmen wollen. Sonst bekommen sie schlechte Laune. Meinungsumfragen können dann viel klarer sein, wenn man die Prozentzahl der Unzufriedenen feststellt. Und ihre Gründe. Daraus ergeben sich Rezepte und Erfolgsmeldungen. Es könnte täglich so sein.
Untersucht man alle beweglichen Elemente eines lebendigen Staates, findet man die Schwachstellen. Dafür gibt es erfahrene Experten. Wenn sie nichts bewegen, müssen andere an die Schalthebel. Die Wirklichkeit ist davon weit entfernt, obwohl Klarheit herrscht. Dankbarkeit ist für solche Entdeckungen nicht notwendig. So lange kann man sich auch an die alte Melodie erinnern: „Undankbares Herz.“ (Cor `ngrato). Wenn Carlo Bergonzi das singt, vergisst man es nie:
https://www.youtube.com/watch?v=oTpZ1ednTmc
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