Chowantschina 1959

31.12.2021. Die russische Seele ist ein Markenzeichen, das nicht mehr sehr bekannt ist. Sie war immer da, aber besonders deutlich im 19. Jahrhundert, in Büchern und Bildern. Modest Mussorgsky war der Meister. In seiner Oper „Boris Godunow“ entfaltet er ein klingendes Panorma seiner Heimat und ihrer Machtkämpfe. Der Zuschauer ist dabei sogar anwesend im Kreml, dem alten Zarenpalast, aber auch auf weiten Landschaften, in denen sich die Revolution vorbereitet. Das Werk gilt als Russische Nationaloper. Das zweite Hauptwerk ist „Chowantchina“. Hier spielt sich das Drama hauptsächlich rund um den Roten Platz ab, konzentriert sich aber auf das Innenleben der Personen. Von Liebe ist da nicht viel zu spüren, sie kämpfen um die höchste Macht, den Zarenthron. Unsichtbar bleibt der Mächtigste, Zar Peter der Große, aber seine Befehle gelten im ganzen Land. Die ehrgeizigen Fürsten Chowanski bekommen das zu spüren. Sie werden als Verräter anonym denunziert, dann überbringt der heimliche Feind selbst die Botschaft: „Chowantschina!“ Schweinerei. Das hat der Zar ausgerufen, als er vom Verrat der Chowanskis erfuhr. Er befiehlt eine gerichtliche Untersuchung, das ist auch schon ihr Todesurteil.

Die Musik ist eindringlich. Das Vorspiel untermalt die „Morgendämmerung an der Moskwa“, dem Fluss am Roten Platz. Es ist überirdisch schön und ein Höhepunkt aller klassischen Konzerte. Die dramatischen Dialoge werden dominiert von „orgelnden Bässen“. Das sind besonders ausdruckvolle russische Stimmen, die jede Feinheit des Gefühls wiedergeben, vom Triumph bis zur Verzweiflung und der Alles durchdringenden, tiefen Melancholie. Die weibliche Hauptrolle, Marfa, ist von einer Altistin besetzt, die besonders tief und geheimnisvoll klingt. Sie ist eine Führerin der Altgläubigen, der russisch-orthodoxen Kirche, die vom Zaren als Feinde angesehen werden und seine Macht bedrohen. Nach der Hinrichtung der beiden Fürsten Chowansky begehen die Altgläubigen Selbstmord, an einem einsamen Waldsee. Auch ihr zweiter Anführer Dosifej, den viele Weltstars gesungen haben. Die gesamte Besetzung ist hervorragend, in der Aufführung des Marinski-Theaters in Leningrad. Der Dirigent Valery Gergiew zeigt darin seine große Kunst, jedes Detail aufblühen zu lassen und zu vertiefen.

Die Handlung endet mit dem Tod der Altgläubigen. Dazwischen herrschen Verrat und Mord, auch eine tiefe Angst in den Gesprächen. Aber die Musik veredelt Alles. Schon das Vorspiel mit der Morgendämmerung am Fluss ist überirdisch, dazwischen hallen schwere Kirchenglocken. Während das Unheil seinen befohlenen Verlauf nimmt, singt der Chor eindringliche, russisch-orthodoxe Choräle. Der Allmächtige schaut zu und sieht Alles. Das Finale klingt ganz anders, aber erinnert stark an das Ende von Wagners „Götterdämmerung“. Die alte Welt geht unter, aber in dem Lärm der Trümmer erklingt eine hymnische Melodie. Ein Hoffnungszeichen. Sie hat bei den Musikwissenschaftlern viele Namen bekommen. Ich nenne sie die „Hymne von der Allmacht der Liebe“. Das ist keine körperliche Kategorie, sondern eine kosmische Energie, die das Weltall geschaffen hat Sie bestimmt auch, ob es sich weiter entwickelt, nach den Universalgesetzen oder zerstört wird. Weitere Artikel zum Stichwort „Chowantschina“ gibt es hier:

https://luft.mind-panorama.de/?s=chowantschina&x=12&y=13

Eine besonders gelungene Verfilmung der „Chowantschina“ hat 1959 die Regisseurin Vera Stroyeva geschaffen. Ihre Bilder orientieren sich am Expressionimus ihres Kollegen Sergej Eisenstein. Die Musik ist mitreißend, zeitlos. Hier kann man das sehen:

https://www.youtube.com/watch?v=tCMdC1JL2SE

.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.