23.11.2015. Deutliche Worte muss jeder ertragen, wenn danach etwas Gescheites und vielleicht sogar Wertvolles dabei herauskommt. Heute war ich zum dritten Mal auf der Bücherschau im Münchner Kulturzentrum Gasteig, wo es in den letzten Tagen sehr interessante Gesprächspartner gab, auf hohem Niveau. Um 18,05 Uhr traten im Kleinen Konzertsaal. zwei junge Studenten der Münchner Hochschule für Musik auf. Ein Chinese und ein Ungar. Sie spielten technisch perfekt, auswendig ohne Noten, und ihr Professor hatte sie vermutlich knallhart darauf gedrillt, keine Fehler zu machen. Aber das reicht nicht. Sie spielten eine Ballade von Chopin, und der andere eine Cellosonate von Bach. Die romantisch melancholischen Passagen und das kontrastierende Forte-Gewitter von Chopin wirkten eiskalt, es fehlte die emotionale Tiefe und die Traumverlorenheit dieses Komponisten. Das Gleiche bei Bach. Er verlangt von jedem Orchestermusiker hoch komplizierte virtuose Kunststücke, aber das reicht nicht. Bach ist der bedeutendste musikalische Mystiker, der zwar ein ketzerischer Protestant war, aber auch in der Katholischen Kirche hoch verehrt wird. Das Geheimnis ist nicht die technische Perfektion, sondern die Deutung. Beide Musiker waren Studenten, handwerklich perfekt, aber wenn sie bedeutenden Künstler werden, lernen sie das auch noch, ganz sicher.
Die Münchner Stadtpolitiker und andere Siebengescheite suchen händeringend nach einem neuen Konzertsaal, aber die Lösung ist ganz einfach. Der amerikanische Komponist und Dirigent Leonard Bernstein war entsetzt über die schreckliche Gasteig-Akustik. Er sagte, „Burn it!“ (Verbrennt das) Heutzutage hätte man ihn danach als hochgefährlich eingestuft und rund um die Uhr überwacht. Doch er benutzte lediglich eine literarische Metapher, ein Wortspiel, so wie man im Streit zu einem guten Freund sagt, „Der Teufel hole dich!“
Noch schlimmer ging es dem Komponisten und Dirigenten Pierre Boulez. In den Siebziger Jahren ärgerte er sich über muffige, altmodische Operninszenierungen und sagte im „Spiegel“-Interview: „Sprengt die Opernhäuser in die Luft!“ Auch das war eine literarische Metapher, keine Drohung. Aber noch viele Jahre später wurde er von den Behörden in der Schweiz an der Einreise gehindert, weil man ihn als Terroristen eingestuft hatte. Boulez jedoch war und ist völlig gewaltfrei!
Heutzutage möchte man am liebsten die akustikfeindliche Philharmonie im Gasteig abreißen. Die Lösung jedoch ist ganz einfach. Vor vielen Jahren hat man einen zaghaften Versuch unternommen, über dem Orchester Wetterfahnen aufzuhängen, sogenannte „Akustiksegel“. Das brachte gar nichts.
Stattdessen braucht man nur einen professionellen Raum-Akustiker, der die holzgetäfelten Wände und Decken überprüft. Dann kann man die horizontalen und vertikalen Raumgrenzen durch Kippen und Senken architektonisch dauerhaft so verändern, dass man auf jedem ! einzelnen Platz hervorragend hört. Das kostet zwar Geld, aber nur das Minimum eines überflüssigen Neubaus und verhindert die Verschwendung von Steuergeldern, die anderswo dringend gebraucht werden.
Wenn man die S-Bahn zum Gasteig verlässt, ist dort ein sehr zugiger Durchgang, wo in der kalten Jahreszeit garantiert keine Straßenmusikanten mit Klassischer Musik auftreten. Das jedoch habe ich am Samstag und heute erlebt. Am Samstag: Ein Violoncello, ein Akkordeon und eine Violine spielten auf dem Rückweg innige Melodien aus Süditalien. Sie waren perfekt verkleidet wie neapolitanische Musikanten. Sie spielten jedoch auf wertvollen Profi-Instrumenten und das auch noch meisterhaft, wie die Solisten eines berühmten Sinfonieorchesters. Außerdem stoppten sie nicht nach üblicherweise fünf Minuten, um bei den Passanten Geld abzuzocken, sondern spielten einfach immer weiter, mit dem hintergründigen Zauber der mediterranen Klangwelt.
Heute, auf dem Rückweg zur S-Bahn, waren zwei wieder da. Der eine schlug die Saiten eines Hackbretts und spielte eindringlich russische Volksmelodien. Der andere hatte wieder sein Akkordeon dabei und brachte sehnsuchtsvolle neapolitanische Lieder zum Klingen. Das war sicher ein Zufall. Aber: Zufälle gibt es nicht in wichtigen Dingen. Und man muss auch nicht überall etwas gar nicht Vorhandenes finden. Aber das kam an wie ein Signal, wie ein freundschaftlicher Gruß aus zwei Welten.
Dazu passt jetzt auch „Funiculi, Funicula“, mit dem vor vielen Jahren in Neapel die Seilbahn zum Vesuv eröffnet wurde: