8.8.2021. „Das Schweigen im Walde“ wurde 1899 von Ludwig Ganghofer veröffentlicht. Ein Jahr später als dieser Roman erschien Sigmund Freuds „Traumdeutung“, deren wissenschaftliche Methoden auch auf künstlerische Phantasien angewendet werden können. Bei Ganghofer geht es um eine tragische Jagdgeschichte, um Wilderer, hitzige Eifersucht auf der Alm im Gebirge und die Rettung auf einer steilen Felswand. In der Nähe, bei Ehrwald, war tatsächlich das Jagdhaus des Bergdichters, nicht weit von Deutschland höchstem Berg, der Zugspitze.
„Das Schweigen im Walde“ soll natürlich vermitteln, dass die Natur zu Allem schweigt, was die Menschen Schlimmes anrichten und sich gegenseitig antun. Gleichzeitig schaut die Natur überall zu, und kein Verbrechen entgeht ihr. Das war ein beliebtes Thema in den Heimatfilmen der Fünfziger Jahre, als das Publikum die Schrecken des Zweiten Weltkriegs überstanden und große Sehnsucht hatte, nach einer heilen Welt, wo Gut und Böse messerscharf voneinander getrennt waren und sofortige Bewertungen möglich machten.
Vorher war das nicht so einfach gewesen. Im Elternhaus hing ein Bild von einem Wilderer mit Jagdgewehr, im einsamen Hochgebirge, der vom Förster erwischt und festgehalten wurde. Die Strafen dafür waren damals hart, und unbelehrbaren Wiederholungstätern drohte die Todesstrafe. Die Millionen Toten, die schuldlos waren und im Zweiten Weltkrieg starben, bekamen aber keinen Dank, und nur die bekanntesten Anführer wurden bestraft. Die anderen mischten sich einfach unter die Bevölkerung und tauchten dort unauffällig unter. Schon als Kind konnte man sie erleben, am schneidigen, harten Befehlston erkennen und an ihrem Schweigen, nicht nur im Walde. Ein Nachbar wanderte sogar aus, nach Kanada und ließ sich nie mehr blicken. Ein anderer überquerte niemals mehr die nahe holländische Grenze, weil er schwere Verbrechen begangen hatte und dort mit seinen Opfern rechnen musste. Tagsüber schnarrte er mit harter Stimme seine Kommentare, aber als er seine ältere Ehefrau wegen einer jungen Freundin verlassen wollte, drohte sie ihm, dass sie über Alles auspacken wollte, was er während des Kriegs, hinter der Grenze angestellt hatte. Das wirkte. Danach traf er ihre Konkurrentinnen nur noch heimlich, und es herrschte wieder ein friedliches Schweigen im Walde.
Das ging so weiter, viele Jahre lang. In der Schule schwiegen auch die Lehrer und redeten über andere Themen, zum Beispiel das längst untergegangene römische Reich, vor zweitausend Jahren. Frühere historische Epochen sind sehr spannend, aber deshalb darf man in der Gegenwart nicht wegschauen und dabei schweigen. Die Datenbanken erzeugen ständig derart viele Informationen, dass es erstaunlich ist, wie viele Wissenslücken trotzdem nicht geschlossen werden. Das ist kein vergeblicher Drang nach fehlerloser Perfektion. Aber selbst ein Minimum existiert oft auch nicht. Einsame Genies sind gar nicht so selten. Wichtiger sind aber Köpfe, die auch dann dabei sind, wenn etwas Eingefrorenes oder Eingerostetes in Bewegung kommen muss.
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