29.10.2020. Als Igor Strawinski (1882 – 1971) das Ballett „Der Feuervogel“ veröffentlichte, galt er als musikalischer Skandalmacher, weil er nichts von den einschmeichelnden Tonen seines „Schwanensee“-Kollegen Tschaikowski anbot, sondern harte Rhythmen und durchaus auch überirdische Klänge. Gewöhnungsbedürftig. Später übernahm Maurice Béjart (1927 – 2007) das Stück und schuf eine sehenswerte Choreographie, die glücklicherweise aufgezeichnet wurde und nichts mehr mit der überlieferten, Klassischen Tanzkunst zu tun hatte. Wikipedia-Lexikon: „Er inszenierte ein Gesamtkunstwerk aus unterschiedlicher Sprache, Musik, Tanz und Regie. Mit bildreichen und spektakulären Aufführungen erschloss er dem Ballett ein neues Publikum. Béjart emanzipierte die männlichen Tänzer von ihrer sekundären Rolle als Hebepartner von Ballerinen und erlaubte auch ihnen eine sensible Subjektivität auf der Bühne.“
Zu Beginn dieses „Feuervogels“ sieht man nur eine Gruppe junger Tänzer in dunkelblauen Arbeitsanzügen. Eine Dekoration gibt es nicht. Nur eine leere Bühne in dunkelblauem Licht. Und dann bewegen sie sich, frei im Rhythmus des Orchesters, also passend. Männer und Frauen in gleicher Kleidung., nur aus der Nähe zu unterscheiden.
Die Vielfalt der raschen Körpersprache hat keine Grenzen. Sie liegen, stehen, laufen, als wären sie Flugvögel. Und plötzlich ist mittendrin ein rotes Licht auf dem Boden. Kurz danach steht an der gleichen Stelle ein junger Tänzer, in einem flammend dunkelroten Arbeitsanzug. Hinter ihm eine große rötliche Sonne, wie ein glimmendes Feuer. Die Solotänzer beten den aufgetauchten Lichtbringer an wie Prometheus, bewegen sich dabei immer lebhafter, als hätte er sie aus einem langen Schlaf geweckt. Immer mehr Energie verströmen sie, und aus der harten, rhythmischen Musik wird eine eindringliche Liebesmelodie.
Am Ende sinken sie wieder erschöpft zusammen. Aus dem Hintergrund tauchen weitere Feuervögel auf und beobachten die Situation, zunächst bewegungslos. Damit endet die Aufführung.
Maurice Béjart starb in Lausanne, in der Schweiz. Dort leitete er seine Ballett-Truppe und nannte sie „Béjart Ballet Lausanne“. Glücklicherweise sind viele seiner Choreographien verfilmt worden, können also jederzeit angeschaut werden, in voller Länge. Berühmt wurde er ab 1960 in Brüssel. Seine Truppe nannte er damals „Ballett des 20. Jahrhunderts“. Der geniale Wieland Wagner wurde aufmerksam auf ihn und übertrug ihm das Venusberg-Ballett in „Tannhäuser“, Auch Wieland wollte, kurz vor seinem Tod 1966, seine eigene Tannhäuser-Inszenierung verfilmen. Dafür blieb ihm keine Zeit mehr. Sein Nachfolger und Bruder Wolfgang nahm das Projekt gar nicht mehr auf und leitete bis 2010 allein die Festspiele. Sein später verstoßener Sohn Gottfried, Geburtsjahr 1947, schrieb 1997 eine Autobiographie, „Wer nicht mit dem Wolf heult“. Darin erzählt er schonungslos von den Streitigkeiten der beiden Brüder. Die Kinder durften noch nicht einmal im Wahnfried-Garten miteinander spielen. Wolfgangs Familie wohnte im kleinen Gärtnerhaus. Wieland besetzte die große Wahnfried-Villa. Er schrie bei Proben seinen Bruder, vor versammelter Mannschaft zusammen („So kann man das doch nicht machen!“). Aber Wolfgang herrschte später allein, 44 Jahre lang. Wieland wurde zwar nicht totgeschwiegen, aber möglichst wenig erwähnt. Und sein symbolischer, kosmischer Weltenkreis, im „Nibelungenring“ und anderen Werken, verschwand für immer. Wolfgang: „Die runden Dinger müssen weg!“ Sein Sohn Gottfried bewunderte diese Inszenierungen. Wie der Rest der Welt auch.
Maurice Béjarts Tannhäuser-Choreographie wurde nicht verfilmt, lebt aber immer noch, nur in ausdrucksstarken Bühnenfotos. Zu Beginn senkte sich auf die Bühne ein riesiges Netz. Drinnen standen die Tänzer in Paaren, in hautengen, fleischfarbenen Kostümen, als wären sie nackt. Dazu hört man einmal einen lauten Schrei, völlig unüblich, mitten in der Musik. Liebesgöttin Venus war damals die farbige amerikanische Sopranistin Grace Bumbry, Sie stand unbeweglich in der Mitte, raumfüllend, in einem bodenlangen Kleid, wie eine Priesterin. „Die schwarze Venus von Bayreuth“ wurde sie danach respektvoll in der Presse genannt. Béjarts Tänzer sprangen erotisierend hin und her, verrenkten sich, mit heftigen, raschen Liebes-Pantomimen. Damals, 1961 ein Skandal. Heute eine sehnsüchtige Erinnerung an die Goldenen Jahre, von 1951 bis zum 17.10.1966, als Wieland (1917 – 1966) mit nur 49 Jahren starb. Unsterblich durch seine Leistungen.
„Der Feuervogel“ ist nur eine von Maurice Béjarts vielen unvergesslichen Arbeiten. Aber sie ist typisch für ihn. Und für Wieland. Beim Weglassen überladener, ablenkender Dekorationen. „Unsichtbares Theater“, so wie auch Richard Wagner ein unsichtbares Orchester in sein Festspielhaus baute, das man seitdem in einer außergewöhnlichen Akustik erlebt.
Die würde überhaupt nicht beschädigt , wenn man endlich eine lautlose Klima-Anlage und breitere, den Originalen sorgfältig nachempfundene und bequemere Sitze in den Zuschauerraum einbaute. Gerade zur Zeit, weil aus medizinischen Gründen, überhaupt keine Vorstellungen mehr stattfinden, könnte man auf der mittlerweile ungenutzten Bühne berühmte Filmaufzeichnungen der Vergangenheit zeigen, mit einer Klima-Anlage, problemlos auch im Winter. Gute, bisher verschenkte Einnahmen und viele Besucher das ganze Jahr, nicht nur im Hochsommer. Ich habe das schon oft in den letzten Jahren gefordert. Heimlich kann man das jetzt gar nicht mehr machen. Aber warum auch? Das gesetzliche Copyright ist sehr leicht bezahlbar, viel niedriger als die, in der Zukunft, dann mit Sicherheit reich strömenden Einnahmen, auch für Hotels, Gaststätten und die anderen Sehenswürdigkeiten, deren Geld in der Stadtkasse dringend gebraucht werden, auch für ganz andere örtliche Projekte.
Aus Vergangenheit und Gegenwart entwickelt sich die Zukunft. Albert Einstein: „Wir stehen auf den Schultern von Riesen, die vor uns waren.“
Man muss sich nur ein wenig bewegen, dann gelingt das auch.
Hier sieht man Maurice Béjarts „Feuervogel“, in voller Länge (24 Minuten) :
https://www.youtube.com/watch?v=hANdWg3OCN0
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