24.9.2020. Dirigenten lieben es, vor großem Publikum aufgeregt große Handbewegungen zu machen und dabei unruhig herumzufuchteln. Sie vermeiden dabei jeden eigenen Lärm, erzeugen aber mit ihren Hand-Zeichen und wilden Blicken den entstehenden Orchesterklang. Die Musiker schauen einerseits in ihre Noten, andererseits verstehen sie, was der Chef meint. Denn die gedruckten Noten sind nur begrenzte Hinweise, auf die gewünschte Lautstärke, das gezielte Hervorheben einzelner Instrumente, das Tempo und die Melodien innerhalb des Gesamtklangs.
Das können selbst bekannte Pultdiktatoren nicht immer meisterhaft schaffen. Die Sängerin Martha Mödl sagte mir, dass ihr Lieblingsdirigent Wilhelm Furtwängler war. „Aber ich weiß nicht, warum.“ Das kann man nachprüfen. Seine Kunst zeigte sich daran, dass er nicht das Tempo übertrieb, die besten Melodien verstärkte und gleichzeitig einen faszinierenden Gesamtklang schuf, der sofort die Wahrnehmung überflutete und verzauberte.
Drei andere Dirigenten der Gegenwart erscheinen hier nur als Beispiele, Denn jeder große Küstler hat seine eigene Handschrift. Die Zutaten sind ganz unterschiedlich, aber das Ergebnis muss begeistern. Sonst kann man sich das Eintrittsgld sparen und daheim alte Aufnahmen hören, die auch bei technischen Unzulänglichkeiten längst von digitalen Bearbeitern akustisch gut restauriert werden.
Herausragend ist Andriss Nelsons. Seine musikalische „Lohengrin“-Gestaltung war 2010 wie ein farbiger Teppich, auf dem man die abstoßenden Labor-Ratten der Inszenierung ausblenden konnte.
Kirill Petrenko erzeugt feine, in allen Details durchdachte und spannende Klänge. Ihn habe ich gern als Chefdirigent der Münchner Staatsoper erlebt, mittlerweile leitet er die weltberühmten Berliner Philharmoniker.
Beide treten nicht mehr in Bayreuth auf. Dort wacht der Musikdirektor Christian Thielemann über alle musikalischen Mitarbeiter. Einmal habe ich dort kurz mit ihm gesprochen, einmal auch in München. Er war dabei sehr sachkundig, freundlich und selbstbewusst. Seine Auftritte als Dirigent waren handwerklich gut, aber es fehlte der mitreißende Schwung, der Hochspannung erzeugt. In Zukunft wird auch dieser Arbeitsmarkt kleiner, weil die Musiktheater noch länger geschlossen bleiben. Viele Sänger werden nur für ihre tatsächlichen Auftritte bezahlt. Manche leben jetzt vom Ersparten. Der Nachwuchs muss nach Alternativen suchen.
Im Kriegsjahr 1942 dirigierte Wilhelm Furtwängler in einer Berliner Fabrik vor den Arbeitern die „Meistersinger“-Ouvertüre. Die folgende Filmaufzeichnung entspricht technisch den damaligen, begrenzten Möglichkeiten. Aber das akustische Erlebnis ist überwältigend:
https://www.youtube.com/watch?v=mt6DSyb7k8Q
.
.