1986: Der silberne Baum

30.5.2021. Der riesige Baum war mindestens dreißig Meter breit, also eine Seltenheit. Er stand im südenglischen Cornwall, auch nicht alltäglich. Abends wurde er von Fackeln rötlich angeleuchtet, dann bestand das blühende Laubdach nur noch aus Silberfarben, wie die Nacht. Aber selbst bei Vollmond bleibt es nach dem Sonnenuntergang niemals so hell. Der Baum war künstlich, sah aber sehr realistisch aus, und das Licht kam aus Scheinwerfern. Ringsum herrschten über vierzig Grad, aber die fast zweitausend Besucher jubelten. Der Sitznachbar sagte, „Nächstes Mal suchen wir uns etwas Leichteres aus.“ Aber das ist nie geschehen, es war schon zu spät.

Geheimnistuerei? Nur für Unwissende, denen die ganze Welt wie ein grenzenloses Rätsel erscheint. Ein Mysterium ist etwas Anderes. Es wirkt zwar auch rätselhaft, lässt sich im Inneren aber entschlüsseln. Stein für Stein wird zusammengebaut, bis das ganze Gebäude fertig ist. Dann erkennt man auch den ursprünglichen Plan.

Dazu gehört eine zweite Geschichte. Im Juli 2001 berichtete die Weltpresse, auch die FAZ : „Erstmals seit der israelischen Staatsgründung 1948 ist in Jerusalem ein Stück des als Antisemiten geltenden Komponisten Richard Wagner aufgeführt worden. Lauten Applaus, aber auch Buhrufe haben der Dirigent der Berliner Staatskapelle, Daniel Barenboim, und sein Orchester am Samstagabend für die Aufführung eines Auszugs aus „Tristan und Isolde“ in Jerusalem geerntet. Der Komponist starb zwar bereits 1883, 50 Jahre vor dem Aufstieg Adolf Hitlers zur Macht. Hitler galt als großer Verehrer des Komponisten. Auf Hebräisch appellierte der in Israel aufgewachsene Barenboim an die protestierenden Zuhörer, die Mehrheit das hören zu lassen, was sie hören wolle. Viele Wagner-Gegner verließen bei den ersten Takten des Vorspiels zur Wagner-Oper „Tristan und Isolde“ den Saal, schlugen die Türen zu und riefen „Nein“. Nach wenigen Minuten kehrte dann aber wieder Ruhe ein.“

Der am Anfang beschriebene, silberne Baum war Teil einer bemerkenswerten Inszenierung dieses Werks, die auch von Daniel Barenboim dirigiert wurde, im August 1986. Fünfzehn Jahre vorher. Die damals besten Sänger der Welt traten auf: Zum Beispiel Peter Hofmann und Catarina Ligendza in den Hauptrollen. Buh-Rufe gab es nicht, nur lautstarke Begeisterung. Anzumerken ist, dass Richard Wagner viele Bewunderer unterschiedlichster Art hatte, und  dass er die Uraufführung seines letzten Werks „Parsifal“ ausdrücklich dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi übergab. Erst fünfzehn Minuten vor dem Ende des wichtigen Abends tauchte damals der Komponist im Orchester auf und dirigierte das Werk persönlich zu Ende. Eigentlich hätte das dumme Gerede damit beendet sein müssen, aber es lebt immer noch, am Rande oder sonstwo und kann sehr deutlich, mit Fakten widerlegt werden.

Künstliche Aufregung kann sehr hartnäckig sein. Sie ist unvermeidlich, denn Schwätzer treten meist in Gruppen auf, werden dabei laut und aufdringlich. Wer sich zu viel damit beschäftigt, verliert aber nur Zeit, Manchmal sogar Geld, wenn sie sich überall einmischen. Professionelle Finanzinvestoren mögen das zwar nicht, fallen aber auch darauf herein. Beim Gedankenaustausch mit realistischen Geldverwaltern ist es erstaunlich, dass sie Informationslücken haben, auch wenn sie sonst jeden Cent aufmerksam anschauen und bei höheren Summen sogar die eingebauten Alarmglocken automatisch einschalten.

Ein überschwänglicher Rausch muss keine hochprozentigen Auslöser haben.  Eine gute Arbeitsleistung kann auch begeistern. Vor drei Jahren wollte sich ein netter Mensch mit mir unterhalten, aber dann hielt das Auto eines Kollegen neben ihm, und er musste sofort zu ganz wichtigen Terminen, auf einer Baustelle. Das kann eine Ausrede sein, aber wenn es stimmt, hat er gar nicht gewusst, was es in der Welt noch alles gibt. Das ist eine angenehme Erfahrung, denn kluge Menschen lassen sich auch gern überraschen, aber nicht dumm behandeln. Bei allem Gejammer über die tatsächlichen Fehler in der Welt gibt es immer noch genug Lichtblicke.

Die am Anfang erwähnte Tristan-Aufführung gehörte dazu, weil sie im August  1986 einen Vorgeschmack auf noch größere Erlebnisse weckte. Das war eine Illusion. Spitzenleistungen sind niemals alltäglich, sonst müsste ein Dauer-Jubel unsere Gegenwart ständig auf die höchsten und einsamsten Bergspitzen schaukeln, wo dann der drängelnde Massentourismus die Seilbahnen verstopft. Es ist gar nichts gegen eine große Breitenwirkung bei den Mitmenschen zu sagen. Aber Gründe dafür gibt es nicht überall, also kann  man sie auch nicht herbeiwünschen wie einen Fliegenden Teppich aus Tausenundeiner Nacht.

Hier wird in den vierzig vorhanden Kapiteln auch kritisiert, aber mit Fakten und Argumenten. Unzumutbares kann damit angenehmer werden. Und das nicht nur in der Kultur. Ein Student hat sich einmal dafür entschieden, Theologie zu studieren. Das interessierte ihn überhaupt nicht, aber er hielt es für besonders einfach. Eine schriftliche Semniar-Arbeit über einen berühmten Philosophen habe dann ich geschrieben und eine ordentliche Note dafür bekommen, aber in der mündlichen Prüfung fiel er endgültig durch. Das ist schon ein paar Jahrzehnte her, aber die Regel gilt: Wer nicht selbst etwas leistet, kommt auf Glatteis und landet am Ende auf der Nase.

Ein Student kann viele andere Fehler machen, aber später wird es ernst. Um Enttäuschungen zu vermeiden, reichen ein paar Filter, die schon öfter erklärt wurden: Auffälligkeiten und übertriebene Anteilnahme sind das Merkmal von gestörten Persönlichkeiten, die sich mit falschen Informationen wichtig machen. Die Liste ist noch viel länger, aber sie taucht bei allen Themen auf. Schaden lässt sich vermeiden, wenn er schon bei der Planung erkennbar ist. Als Mitarbeiter ist auch nicht Jeder geeignet. Beschädigtes Vertrauen ist wie eine kostbare Vase. Wenn sie zerbricht, kann sie nicht repariert werden oder das Original ersetzen. Wer solche Regeln nicht ernst nimmt, schafft auch keine dauerhaften Erfolge.  Sie sind ein Ziel von vielen anderen,  und davon abhängig sind auch materielle Kategorien. Eine schlechte Bilanz als Dauerzustand lässt sogar  ein großes Vermögen immer mehr schmelzen. Die Gegenmittel wurden auch gerade wieder genannt. Sie müssen nur laufend ergänzt werden.

Nach dem Tod der berühmten Sängerin Martha Mödl (1912 – 17.12.01) sah man in der Aussegnungshalle des Münchner Ostfriedhofs viele bekannte Gesichter aus ihrer besten Zeit, auch den damaligen Festspielleiter Wolfgang Wagner. Die Rede hielt der Musikschriftsteller Thomas Voigt, Jahrgang 1960. Streicher der Bayerischen Staatsoper spielten den „Abendstern“ aus Tannhäuser. Zum Schluss kam noch einmal ihre Stimme, mit dem „Liebestod“ aus Tristan und Isolde. Hier kann man sie noch einmal damit erleben, in einer New Yorker Filmaufzeichnung aus dem Jahr 1958 :

https://www.youtube.com/watch?v=WWqAU5VKYdo

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