Die BSO – ein heiliges Gebäude

8.9.2020. Die Bayerische Staatsoper (BSO) war bis zum endgültigen Fall der Berliner Mauer das wichtigste Musiktheatet in Deutschland. Die besten Sänger, Regisseure und Dirigenten gaben sich die Klinke in die Hand.

Warum sollte solch ein Gebäude heilig sein? Es hat zwar vor dem Haupteingang antike griechische Tempel-Säulen, aber das gibt es auf der ganzen Welt. Die einsame Gipfelhöhe lässt sich heute noch in alten Filmaufzeichnungen, Berichten und Fotos wieder aufwecken, ohne dass man die Fehler der Vergangenheit verklärt. Ob Radioübertragungen oder Fernsehsendungen, man konnte an jedem Ort miterleben, was sich in dem Haus dem Publikum präsentierte.

Meinen ersten Besuch dort gab es erst im November 1987. „Die Walküre“ war zwar hochkarätig besetzt, hatte aber einige Produktionsmängel. Trotzdem war es aufregend, zum ersten Mal auch mit erfahrenen Besuchern Pausengespräche zu führen. Im Lauf der folgenden langen Jahre kamen dann ganz unterschiedliche Eindrücke.

Dsa Haus istt jetzt seit fünf Monaten geschlossen. Seit Ende März, als wegen der Corona-Krise zunächst sämtliche öffentlichen Veranstaltungen abgesagt und auch Gaststätten geschlossen wurden. Doch die Erinnerung merkt sich wichtige Dinge. Vor allem den Unterschiede zwischen den Ideen des Komponisten und der gezeigten Realität. Das waren manchmal sehr heftige Unterschiede.

Was bleibt, ist ein Gesamteindruck. Eine Mischung aus Wunsch und Wirklichkeit.

Daraus ergibt sich eine ideale, gar nicht realisierbare Bewertung. Und das Ergebnis ist die sichere Auffassung, dass diese Kunstform nicht nur drei Elemente vereinigt, das Schauen, Hören und die Klänge selbst, die zwar im Notenbild der Partitur fixiert sind, aber erst durch die Interpretation zum Leben erwachen. Durch Tempo, Lautstärke, Hervorhebung einzelner Instrumente, die Qualität der Stimmen, ihre Tonfarbe und Tetxverständlichkeit.

Nichts ist langweiliger als eine stundenlange Oper, in der Nichts zusammenpasst. Dagegen kann es an kleinen Häusern wie im westfälischen Münster mit herausragenden Leistungen zu einem unvergesslichen Erlebnis werden. Von 1971 bis 1985 habe ich dort starke Eindrücke am laufenden Band gehabt. Dank des Chedirigenten Alfred Walter und des Regisseurs Karl-Erich Haase, die beide vorher Assistenten des genialen Wieland Wagner in Bayreuth waren. Dessen Stil bemerkte man in den optischen Ideen, sogar für Aida, Fidelio und andere Kostbarkeiten: Eine sparsame, abstrakte Ausstattung, mächtige Symbole als Signale mit Tiefenwirkung. Eine aktive Farb- und Lichtregie, die sich während der Handlung immer an die einzelnen Situationen anpasste. Eine sparsame, aber dramatische Personenführung. Das verschwand Alles, als 1983 ein neuer Intendant das Ruder übernahm. Er setzte auf Experimente und Willkür. Nach einer Tannhäuser-Aufführung gab es ein Gespräch mit den Zuschauern. Ich stritt mich mit dem Regisseur, „Schreiben Sie sich doch eine eigene Oper für Ihre Einfälle.“ „Das ist eine Unverschämtheit!“ Mehr war nicht, aber viele Stammgäste suchten sich Im Lauf der folgenden Jahre ein anderes Ziel.

Die Sache an sich bleibt trotzdem unbeschädigt. Allein die Idee, Klang, Bilder und Handlung zu einer Einheit zu verbinden, ist ja bei Monteverdi, Mozart, Verdi und Strauss meisterhaft gestaltet worden. Zur Zeit beschäftige ich mich besonders mit Vincenzo Bellini (1801 – 1835), der früh starb. Über ihn sagte Richard Wagner (1813 – 1883), der die itaienischen Komponisten nicht besonders gut leiden konnte, „Bei dem habe ich gelernt, wie man eine Melodie schreibt.“ So ein Lob von allerhöchster Stelle, das zufällig vor ein paar Wochen wieder in die Erinnerung kam, hat eine intensive Beschäftigung mit seinen Hauptwerken ausgelöst: „Norma“. „Puritani“. „Somnambula“. „Capuleti e Montecchi“. Das vorläufige Ergebnis: Bellini hat herliche Melodien geschrieben, aber auch die auftrumpfende Dramatik nicht vergessen. „Capuleti“ feiert mit voller Kraft das Shakespeare-Thema von „Romeo und Julia“. „Norma“ ist eine mächtige Priesterin der Druiden und feiert magische Rituale für die Mondgöttin, die silberne Sichel des Halbmondes. „Casta Diva“ (keusche Göttin) im heiligen Hain“, das war auch der Spitzname von Maria Callas, die mit dieser Rolle ihre größten Triumphe feierte. Und Heilige Orte waren ja auch die Spezialität von Richard Wagner.

Das Wort „Heilig“ wurde früher zu oft gebraucht, dient heute auch als Reklamewort, und als „Göttin“ bezeichnet man sogar attraktive Filmschauspielerinnen. So verliert der Inhalt seinen Wert, aber nicht dessen ursprüngliche Bedeutung. Heilig war in der Frühzeit Alles, was unantastbar, mächtig und wie die alten Götter der ägyptischen Pharaonen und griechischen Herrscher seine Kraft nicht aus materiellen Dingen bekam, sondern aus der universalen, unsichtbaren Energie des Kosmos. „Isoldes Liebestod“ von Wagner endet mit den Worten, “ Seht ihr es, Freunde? Seht ihr es nicht? Sind es Wellen sanfter Lüfte? Wie sie schwellen, mich umrauschen. Soll ich atmen, soll ich lauschen, untertauchen? In dem wogenden Schwall, in dem tönenden Schall, in des Welt-Atems wehendem All – ertrinken, versinken, unbewusst, höchste Lust.“

Das ist die buddhistische Form der Existenz: Der Mensch muss meditieren, darüber nachdenken, wie er seine Fehler verringert. Sonst wird er so oft wieder geboren, bis er ganz rein ist und sich auflöst im Universum, „in des Welt-Atems wehendem All“.

Solche Themen gibt es in den lustigen Opern nicht, auch nicht in vielen ernsten. Deshalb mochte Wagner auch seinen Kollegen Giuseppe Verdi (1813 – 1901) nicht und hat sich immer geweigert, ihn persönlich zu treffen.

Er selbst stellte in den Mittelpunkt seiner zehn Hauptwerke die Themen Erlösung von der Verdammnis, den Kelch der Gralsritter und dessen Lichtwirkung, außerdem biblische Motive wie Eva im Paradiesgarten.

Für solche Inszenierungen war die Bayerische Staatsoper (BSO) einmal weltberühmt, und es gibt viele akustische und optische Dokumente davon.

Wegen der medizinischen Kontaktverbote ist auch die Bayerische Staatsoper immer noch geschlossen. Warum eigentlich? Man kann auf der Bühne berühmte Musikfilme zeigen. Einzelne Sängerstars können dort Abende gestalten. Der Zuschauerraum muss nicht voll besetzt sein. Veranstaltungen können ins Freie auf Videoleinwände übertragen werden. Oder in andere Konzertsäle. Künstler und Publikum wären dafür dankbar. Eintrittsgeld wäre möglich, natürlich auch Spenden und Zuschüsse. Das gilt auch für alle anderen Kulturveranstaltungen. Aber bisher geschieht kaum etwas.

Das ändert nichts am Wert der Musikdramen und anderer Veranstaltungen. Das Wichtigste ist die Konzentration. Das muss nicht immer tiefernst und hochdramatisch sein.

Wie folgende Verfilmung der Wiener Staatsoper. Donizettis musikalische Komödie „Elisir d’Amore“ (Liebestrank), mit Anna Netrebko und Rolando Villazon:

https://www.youtube.com/watch?v=_o4BAL8BLvI

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