Die kräftigsten Oktoberfarben

18.10.2019. Auch der Monat Oktober hat jetzt schon die Hälfte überschritten, aber er ist noch nicht vorbei. Es gibt Ereignisse, die kein Mensch aus seinem Leben löschen kann, aber Manche schaffen auch längere Zeiträume nicht. Obwohl die Lebenserwartung statistisch immer höher wird und damit die Zahl der Rentner, sieht das in jedem Einzelfall völlig anders aus. Ob ein wichtiger Gedenktag gut verläuft, weiß man erst, wenn er vorbei ist. Geheimnistuerei ist dabei überflüssig. Anfang nächster Woche folgt die Bilanz.

Ein langweiliges Leben hat auch matte Farben. Das kann man mit den Vier Jahreszeiten vergleichen. Der Frühling ist wie die aufblühende Kindheit. Der Sommer die Zeit des wachsenden Reifens als Erwachsener. Im Herbst leuchten die Farben am stärksten. Und der Winter ist in den asiatischen Länder nicht das letzte Finale, das Ende, sondern nur eine Ruhepause vor der nächsten Wiedergeburt, die sich so oft wiederholt, bis eine vollständige Reinigung des Inneren von allem Schlechten und Überflüssigen beendet ist.

Die bekanntesten und stärksten Herbstfarben findet man in Kanada, den „Indian Summer“, weil dort unterschiedliche Laubbäume auch völlig verschiedene Farben erzeugen. Die Jahreszeit heißt so, weil die Ureinwohner des Landes Indianer waren, die in enger Berührung mit den wechselnden Bildern der Natur lebten und noch keine moderne Technik kannten. Auch ihre Sprache und deren Ursprung, die Gedanken, enthalten eine Überfülle von Naturbildern, die aber auch eine Bedeutung für sämtliche Wechselfälle der vergehenden Zeit hatten.

Natürliche Farben sind immer anregend. In der nachproduzierten Kunst und der Mode gibt es Übertreibungen, die abschrecken. Knallrote Kleidung und zu viel Schminke bei älteren Leuten nannten wir als Schüler „Ihr letzter Versuch“, nämlich Aufmerksamkeit zu erregen und Partner zu finden. Die tatsächliche Wirkung ist meistens abschreckend, also das Gegenteil. Räume mit knalligen Farben sind überhaupt nicht gemütlich. Es reicht ein schwacher Pastellton, der sich nicht als übertriebene Hauptsache in den Vordergrund drängt, dabei wichtigere Dinge verdrängen und in die Flucht schlagen soll.

Farben gibt es auch bei Orchesterklängen und im Tonfall einer Stimme. Wer zu leise redet, vertreibt die einschlafenden Zuhörer. Wer den brüllenden Kasernenhof-Ton bevorzugt, erwartet widerspruchslosen Gehorsam und Unterwerfung. Militärische Kategorien sind in einem Krieg nichts Besonderes, aber im friedlichen Privatleben erntet man damit keine neuen Freunde, sondern einen schlechten Ruf wie Donnerhall. In der Schülervorstellung einer weihnachtlichen Märchenoper saßen im ganzen Publikum gelangweilte, laut miteinander schwatzende Jugendliche. Als dann auf dem musikalischen Hohepunkt goldene Engel zum „Abendsegen“ auftauchten, brach ein paar Reihen weiter auch noch ein einzelner Zuschauer mit einem lauten Krachen zusammen. Er wurde dann von Helfern nach draußen getragen, die laut gegen die Holzverstuhlung trammpelten. Heute denke ich, dass es ein absichtlicher Regie-Einfall mit Statisten war, eine „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“, die in Steven Spielbergs Kinofilm durch Außerirdische aus einer fernen Galaxie verursacht wird.

Fußballspiele werden oft durch grölende, tobende Besucher aufgeheizt, die sich wegen des Alkoholverbots im Stadion schon stundenlang vorher vollgetankt haben. Dazu passt dann ganz oben ein farbenprächtiger Herbsthimmel, auch wenn er keinerlei direkte beruhigende Wirkung hat, aber den dringenden Wunsch auslöst, einen langten Spaziergang an der Isar zu machen und über Marc Aurels Worte zu sprechen, „Lebe jeden Tag so, als ob es dein letzter wäre.“ Der römische Kaiser ( 121 – 180 ) war keineswegs lebensmüde, und er hat in seinem vergleichsweise langen Leben viele Kriege führen müssen. Aber er traf mit seinen „Selbstbetrachtungen“ den Kern jeder Existenz, auch wenn seine Zeitgenossen sich lieber mit „Panem et Circenses“ beschäftigten, also dem Spaß an Essen und Sensationen.

In einem Arbeiterlokal, wo sonst nur Billigwein angeboten wird, weil die meisten Gäste sowieso standfeste Biertrinker sind, stand kürzlich, zum gleichen niedrigen Preis, ein ausgesprochen edler Tropfen im Regal. Das Etikett habe ich abgeschrieben. Er kam von einem privaten Weingut in der österreichischen Wachau. Der Wirt meinte, „Das trinken die anderen Gäste sowieso nicht.“ Umso besser. Die Wirkung war nicht benebelnd wie bei Wegwerf-Fusel, sondern verstärkte die Wirkung der flammenden Herbstfarben vor der Eingangstür. Der Name des Getränks ist auch kein Geheimnis, aber wenn sich das auch noch herumspricht, ist vielleicht bald nichts mehr davon da. Nach der Veröffentlichung dieses Artikels war der Wein plötzlich teurer. Aber man kann nicht Alles geheim halten, sonst ist Schluss mit Lustig, und wer will das schon? Die in Frage kommenden Verräter sind überhaupt nicght schwer zu finden. Sie trinken sowieso Bier, und das ist manchmal eine saure Plempe, bei der es die Zuschauer nur noch schüttelt.

Zum Thema Wein hat die Musik ein Riesenangebot. Aber entscheidend für die Auswahl ist die wechselnde Stimmung in denGedanken. Filmkomponist Henry schrieb das Lied „The Days of Wine an Roses“, das wie eine Miniatur den ganzen Zauber der Traumfabrik enthält: „Die Tage mit Wein und Rosen enden niemals.“ Natürlich enden sie. Aber nicht im Kino. Damals. Das war einmal.

https://www.youtube.com/watch?v=zN77zzI8L7U

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