6.8.2019. Salvador Dalis Gemälde „Die weichen Uhren“ ist fotorealistisch genau. Keine Nebelschleier oder Andeutungen sind zu sehen. Die Meerlandschaft mit einem braungelben Sandgebirge entspricht dem Blick von Dalis Villa im spanischen Cadaques in die Außenwelt. Ein verdorrter Baum, eine Holztruhe und vier große Taschenuhren, die sich in der Sonnenhitze verformt haben. Doch ganz anders als in der Wirklichkeit ist das Metall der Zifferblätter nicht geschmolzen, sondern hat sich weich wie ein Tuch oder ein Schmelzkäse an die Umgebung gehängt und angepasst.
Das Gemälde wirkt deshalb rätselhaft, unerklärlich. Aber auch die dichtenden oder komponierenden Surrealisten haben ihre wichtigsten Aussagen in solch einer vermeintlichen Realität versteckt. Beim Nachdenken lösen die Bilder Assoziationen aus, verbinden sich mit ganz anderen Erfahrungen und gehören damit zur Kategorie der Allegorien, Metaphern und Symbole. Das ist eine uralte Bildersprache, die es schon vor der Erfindung der Schriftzeichen gab und deren Entzifferung möglich ist, wenn man die passenden Schlüssel kennt.
Rätselmaschinen wie die deutsche „Enigma“ versendeten geheime Nachrichten im Zweiten Weltkrieg an die leitenden Generäle. Doch den Engländern gelang es, den eigentlich unlesbaren Code zu knacken. Danach hatten sie die wichtigsten Informationen über die feindliche Kriegsführung frei zur Verfügung.
Die Welt steckt voller Geheimnisse, die man auflösen kann. Aber da gibt es auch den geheimnisvollen Bereich des Mysteriums, das zum Beispiel bei antiken religiösen Ritualen im Mittelpunkt stand und nicht angerührt werden durfte, weil es sonst seine Energie restlos verlor. Es war von einer unsichtbaren Wand umgeben und entzog sich bei einem Angriff den Plänen der machthungrigen Barbaren völlig und für immer.
Salvador Dalis schmelzende Uhren sind ein Bilderrätsel. Wenn etwas schmilzt, dessen Mechanik funktionieren soll, ist es wertlos. Alle vier Uhrzeiger haben einen unterschiedlichen Stand. Es handelt sich also nicht um einen plötzlichen Vorgang, sondern um eine langsamere Entwicklung. Weil die Zeit niemals still steht, sondern fortschreitet, sind die gezeigten Messinstrumente nicht mehr für Forschungen geeignet, sondern im Zustand der Auflösung. Grund ist aber nicht die Wüstenhitze der Landschaft ringsum, denn Dali hat diesen Blick aus seinem Privathaus immer wieder gemalt und auch als stärkendes Element des Lebensfeuers gezeigt.
Hier jedoch schmelzen die Uhren. Ihre Zeit ist abgelaufen, so wie alles biologische Leben ein Ende findet. Und diese Deutung gilt für die meisten Phänomene im Universum, von den erlöschenden großen Sternen bis zu den kleinsten Lebewesen im Meer.
Ein zeitliches Ende haben auch Epochen. Das Kaiserreich von Karl dem Großen ist durch materielle Gegenstände und schriftliche Dokumente überliefert, aber es ist längst vorbei. Genauso die deutschen Diktaturen im letzten Jahrhundert. Das ist normal. Schaden entsteht dann, wenn die Beteiligten nicht merken, dass ihre Zeit abgelaufen ist und sie sich mit Gewalt dagegen wehren.
Der einzelne Mensch hat zu Beginn seiner Lebenszeit wenig Wissen, ist auf die Erfahrungen Älterer angewiesen und gerät manchmal trotzdem auf die schiefe Bahn, vertrödelt die Tage mit unterhaltsamen Nichtigkeiten oder verzweifelt am Sinn seines chaotischen Lebens, das sich auf anmaßende Macht und Geld reduziert.
Mit den fortschreitenden Jahren steigern sich eigentlich die Möglichkeiten zu lernen, Einsicht und Erkenntnisse zu finden. Die fernöstliche Methode der Meditation lässt sich wie eine Fremdsprache erlernen und ist weltweit anwendbar. Das ist die Konzentration auf das Wichtigste und dabei das Nebensächliche abzustreifen.
Dazu muss man nicht wie Buddha in einer bestimmten Körperhaltung verharren, sondern es gelingt auch in überfüllten Reisezügen, im Geschrei der Zuschauer auf Sportplätzen und sogar in Gesprächen, die um Alltäglichkeiten kreisen, die man zwar wahrnimmt, aber trotzdem Hintergundgeräusche bleiben. So geschah das vor dreißig Jahren in einem Abendlokal für junge Leute, die sich amüsierten. Doch an der Theke sprach ich mit meinem Gastgeber über die Philosophie von Martin Heidegger, die als besonders kompliziert gilt. Indem wir uns auf seine Ideen konzentrierten, verschwanden die Umgebungsgeräusche und wurden nicht mehr wahrgenommen. Es sei denn, dass es eine Pause im Gedankenaustausch gab. Dann war die Realität natürlich wieder voll da. Solche Methoden, das Wichtige in den Vordergrund zu stellen, führen nicht zur Weltfremdheit, sondern zu einem deutlicheren Verständnis der Wirklichkeit. Und zur Entspannung. Ein Mensch in fortgeschrittenem Alter weiß, dass er nicht ständig neue Abenteuer erleben muss, lange Weltreisen sammelt oder auf Massenveranstaltungen seine Zeit vetrödelt. Das schafft viel Platz. Plötzlich tauchen Bilder aus der Kindheit auf, die angeblich vorher ganz vergessen waren. Misserfolge, Fehler wiederholen sich im Lauf der Jahre, und im Vergleich werden ihre Ursachen erkennbar. Und auch, wie man sie in Zukunft vermeidet.
Albert Einstein entdeckte, dass die Zeit tatsächlich keine feste Größe ist, obwohl sie mit Messinstrumenten genau notiert werden kann. Sie ist abhängig von Masse und Geschwindigkeit.
Eine andere Perspektive der Zeit findet man im „Rosenkavalier“. Im „Uhrenmonolog“ heißt es: „Die Zeit, die ist ein sonderbar‘ Ding. Wenn man so hinlebt,ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie.
Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. Manchmal steh‘ ich auf mitten in der Nacht und lass‘ die Uhren alle, alle stehn. Allein,man muss sich auch vor ihr nicht fürchten. Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat.“
Hier singt das Elisabeth Schwarzkopf:
https://www.youtube.com/watch?v=dozWZdyOY6s
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