14.10.2019. Eine weiße Fahne bedeutet, dass die Besiegten in einem Krieg sich ohne jede Bedingung ergeben. Die Farbe soll nicht durch weiteres Blutvergießen befleckt werden, und die leere Fläche des Stoffs ist das Angebot für einen Neuanfang.
Dieses Symbol gibt es schon lange. Es wurde noch nie für Täuschungsmanöver missbraucht, weil dann die Sieger gnadenlos Rache genommen hätten. Die Flagge bedeutet außerdem, dass man sich selbst nicht als willenlos und schwach einschätzt, sondern – wie die Kriegsflagge im gegenteiligen Sinn – Stolz und Selbstbewusstsein mit erhobener Hand zeigt und erwartet, gut behandelt zu werden.
Das muss keine Flagge sein. Wenn Wölfe in freier Wildbahn miteinander kämpfen, hält der Unterlegene seinen Hals offen in Richtung seines Feindes. Der könnte jetzt endgültig zubeißen, wird aber durch einen uralten biologischen Reflex daran gehindert und erwartet nur, dass der Rivale aus seinem verlorenen Revier für immer verschwindet.
Viele solcher Zeichen gibt es auch im Alltag, aber Jeder kann selbst darüber nachdenken. Manchmal ist es nur ein Wort. Ein Bild. Oder ein Zufallstreffen.
Kürzlich habe ich mittags in einem Altstadtlokal eine Kleinigeit gegessen. Der Raum war nur schwach besetzt, als plötzlich ein unbekannter junger Südländer vorbeiging, sogar aufmerksam grüßte und dann einen Fensterplatz besetzte, mit Blick nach draußen. Er kramte bei einer Tasse Kaffee in seiner Tasche herum und betrachtete mehrere Gegenstände, die ich auch von hinten gut sehen konnte. Darunter war eine schwarze Ansichtskarte, in deren Mitte sich ein helles Gesicht mit einem weißen Haarschopf befand. Darauf bot ich an, ihm das Bild zu erklären. Zunächst missverstand er wohl, dass ich nach der Herkunft seiner Karte gefragt hätte und zeigte auf ein Haus gegenüber, das mir erst jetzt zum ersten Mal auffiel. Nach Klärung seines Irrtums war er genauso freundlich, lehnte es aber energisch ab, sich das Motiv erklären zu lassen, obwohl er zugab, dass es für ihn nicht verständlich war. Sein Auftrag war also mit dem Vorzeigen der Karte beendet, ein Gedankenaustausch darüber jedoch war – noch – nicht erwünscht. Beim Fortgehen sagte ich nur das Allerweltwort „Ciao“. Da drehte er sich um und wiederholte das, wieder mit einem offenen Lächeln.
Da eine Bilderklärung in dem Fall offensichtlich nicht gewünscht war, findet sie auch hier nicht statt. Das Ganze war offensichtlich kein Zufall, sondern inszeniert. Das geht mit dem Mobilfunknetz. Mit einem speziellen Computerprogramm, das Jeder auf sein Smartphone laden kann, ist es sekundenschnell feststellbar, wo eine konkrete Personn sich befindet, wenn man deren Handynummer kennt und als Suchwort verwendet. Der Auftrag kam also von Jemand, der mich kennt, aber unsichtbar bleiben wollte. Das Ganze war sehr freundlich gestaltet und findet vielleicht auch noch eine Fortsetzung, aber prinzipiell lassen sich solche Überwachungsprogramme genauso für negative Zwecke verwenden, deren kriminelle Urheber aber, vor allem im Wiederholungsfall, klare Spuren hinterlassen.
Von ähnlichen positiven Zeichen gibt es schon seit einiger Zeit eine ganze Menge. Ich habe nach längerer Zeit erfreulicherweise Personen wiedergesehen, die auch sehr feindselig auftreten können. Eine „weiße Flagge“ dieser Art ist auch eine Art von Friedensangebot. Aber nicht für Jeden. Vor ein paar Tagen drängte sich eine verkleidete Person in der Straßenbahn auf einen der freien Nachbarsitze. Er trug eine gelbgrün gesprenkelte militärische Kampfjacke, dazu eine schwarze Sonnenbrille und eine schwarze Lederkappe, die auf verschiedene kämpferische Vereine hinweist. Bei seinem Anblick ist mir spontan der kurze Ausruf „Schon wieder !“ herausgerutscht, und ich habe ihn unhöflicherweise viel länger direkt angestarrt als es unter zivilisierten Menschen üblich ist. Darauf zog er den Sonnenschutz seiner Lederkappe so tief in sein Gesicht, dass es für einen ahnungslosen Zuschauer überhaupt nicht mehr erkennbar war. Mit solchen Leuten, die sich manchmal gern auch als ältere Frauen verkleiden, habe ich früher gern offene und anregende Gespräche geführt. Aber die zuerst erwähnte Maskerade führt doch dazu, dass Misstrauen und Ablehnung für die Zukunft hier ganz sicherlich das bessere Rezept sind.
Maskeraden, Geheimpläne und andere Veriationen der Hinterlist verlieren in Zukunft immer mehr ihre überschlau ausgetüftelte bösartige Wirkung. Denn es spricht sich herum. Es sind längst keine Einzelfälle mehr. Ein paar schnell durchgezogene Musterprozesse reichen, um eine starke Abschreckungswirkung zu erzeugen, inclusive Entschädigungszahlungen und öffentlicher Berichterstattung.
Viele Staaten machen zwar auch nicht Alles öffentlich, aber da ist längst ein Umdenken eingetreten, weil die große Chance für ein gutes Zusammenleben nur mit ganz anderen Methoden verwirklich werden kann.
Ein besonders positive Beispiel dafür ist das mächtige China. Schon vor Jahren habe ich mich mit einem Geschäftsmann aus Peking unterhalten, der in Norddeutschland ganze Firmen aufkaufte und in seine Heimat zur besseren Auswertung transportieren liess. In Afrika haben geschickte und auf das Wesentliche beschränkte Einkäufer langfristige Verträge für den Abbau wertvoller Bodenschätze abgeschlossen, schneller als europäische Konkurrenten das überhaupt bemerkten. Im österreichischen Hallstatt am See haben Chinesen den ganzen idyllischen Ort fotografiert, vermessen und eine exakte Kopie davon in ihrer Heimat aufgebaut, als Sehenswürdigkeit für Touristen und zum Wecken einer Sehnsucht nach einem Besuch der Originale.
Dann braucht man auch keine weißen Fahnen mehr. China hat kürzlich keine militärische Gewalt gegen Demonstranten in Hongkong angewendet, obwohl das leicht möglich gewesen wäre. Denn der Schaden für die restliche Staatengemeinschaft wäre viel schwerer geworden, und das hätte noch größere Spannungen erzeugt.
Franz Lehars bekannte Operette „Im Land des Lächelns“ handelt von Asiaten, die hinter einem freundlichen Lächeln ihre tiefe Traurigkeit verbergen ( „Doch wie es da drin aussiehrt, geht niemand was an.“ ) Das gleiche Werk enthält eine Huldigungt an die alte chinesische Dichtkunst. Sandor Konya singt hier: „Von Apfelblüten einen Kranz“ :