Die wilde Jagd

30.6.2021. Betriebswirtschaft gab es auf dem Gymnasium als Pflichtfach überhaupt nicht, auch als freiwillige Wahl-Fach wurde es nicht angeboten. Dafür wurden wir mit anspruchsvollen Romanen und phantasievollen Gedichten traktiert. Dem toten Latein, das im Alltag seit tausend Jahren überhaupt nicht mehr existierte, wurden neun lange Jahre geschenkt, und forschende Naturwissenschaften wie Physik und Chemie landetem auf dem Sammelplatz wie auf einem Katzentisch. Das Abitur hieß „Zeugnis der Reife“ und war der Start für ein paar lockere akademische Jahre mit viel Freizeit.

Geld dafür gab es nicht viel, sondern musste in den überlangen Semesterferien selbst verdient werden, mit anspruchslosen, schlecht bezahlten  Aushilfs-Jobs oder mit viel Glück, bei den Lücken, die noch frei waren. Lernen konnte man trotzdem viel, nämlich über Raubtiere auf der Jagd oder die Glitschigkeit von Schleimereien, mit eingebauter Vorfahrt und viel Schmieröl. Das kroch bis ins Privatleben, konnte dort aber schneller abgefangen werden.

Das war eine vorbildliche Vorbereitung auf den beruflichen Alltag, wo es noch heftiger zuging. Wenn ein Krawattenträger im schwarzen Maßanzug vor zwanzig Zuhörern heftig zusammenzuckt und sich dann von einem Assistenten ablösen lässt, hat er dafür Gründe, die Jeder selbst herausbekommen kann. Und Methoden, die unsichtbar bleiben sollen, aber trotzdem Tagesthema beim gemeinsamen Kaffee in der Betriebskantine sind. Solche Leute lachen viel, wenn sie anderen ins Gesicht schauen. Das ist normal, aber  nur ein Teil der Wahrheit. Die Psychoanalyse hat gute Werkzeuge, um auch den Rest zu finden. Allerdings wird sie oft falsch verstanden, als Machtinstrument wie andere Tricks. Tatsächlich bringt sie nur Durchsichtigkeit und Offenheit, sonst bleibt sie unwirksam.

Im Sumpf nützt sie auch nicht viel, weil der zu klebrig ist. Erfrischend sind immer Offenheit und Transparenz, aber nur in den richtigen Situationen. Das merkt man am Verhalten der Gesprächspartner. Dauerschwätzer sind auch Unruhestifter, auf anderer Leute Kosten und für ihre eigenen Geheimtaschen. In jungen Jahren rechnet man gar nicht damit und erschrickt sogar, aber Wiederholungen machen auch Horrorfilme langweilig, die mit teuren Gesichtsmasken und Knallerei nach ein paar Tagen aus den Kinos verschwinden. Da werden Millionen verfeuert. Die enttäuschten langen Nasen sind oft schwerhörig, aber eigentlich selbst schuld. Augen auf – oder Geldbeutel auf! Dafür gibt es  immer nehmende Hände, und die Dankbarkeit ist sogar echt, aber nur eine Eintagsfliege.

Die körperliche Arbeit armer Leute müsste eigentlich immer mehr verschwinden, weil die Technik viel Ersatz dafür hat. Die Grenzen liegen in den Wissenslücken. Auch wer Ökonomie studiert hat, kann oft mit Geld gar nicht umgehen. Die Beweise dafür sind frei zugänglich, wenn man nur die Monate seit dem letzten Jahreswechsel genauer anschaut. Stichwörter wie „Wirecard“, „Open lux“, „Gesichtsmasken“ verbrauchen nicht viel Platz, werden aber seitenlang, in jedem Lexikon auseinander gefaltet. Auf allen Führungsebenen gibt es stundenlange Besprechungen über Erfolgsziele, die gar nicht Wirklichkeit werden. Mitleid verdienen nur die Ahnungslosen, die wirklich nichts erfahren. Auch sie können sich selbst informieren, ungehindert. Das Ergebnis gibt es kostenlos, in jedem Biergarten oder an den Theken exklusiver Cocktail-Bistros. Aber viel Alkohol vernebelt auch das Wahrnehmungsvermögen. Hinter den Qualmwolken gibt es oft nur Leere.

Selbst die bekanntesten Regeln haben Lücken, die für Zuschauer erkennbar sind. Also Werkzeuge, mit denen aufgeräumt werden kann. Das muss kein eiserner Besen sein. Zuhören allein bringt nicht viel, kann aber auch ein Startsignal sein. Wenn das schon der Schlusspunkt ist, kann man einfach weiter gehen. Es gibt nicht nur schlechte Erfahrungen, und die besten passieren manchmal bei einem zufälligen Gedakenaustausch, in einem Augenblick, wenn Niemand damit rechnet. Auch Freundschaften und Vertrauenspersonen werden dabei erkennbar, sind aber vergleichsweise selten. Auch das lässt sich leicht feststellen, hinschauen muss aber Jeder selbst.

„Gewitter und königliche Jagd“,  aus den Trojanern von Hector Berlioz (1803 – 1869). Das belebt mit Blitzen und Jagdhörnern, die eine plastische Naturstimmung schaffen:

https://www.youtube.com/watch?v=vFj1m2yeiMM

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