Ein Festtag wie kein Anderer

25.7.2020. Der heutige Samstag ist auch ein festes Kalenderdatum, an dem seit 1951 die Bayreuther Festspiele eröffnet wurden. Aber erst viel später, als Sechzehnjähriger begann die eigene Entdeckung dieser Welt, die äußerlich nur oberflächlich und unvollständig sichtbar wird. Damals waren selbst im Radio aktuelle Direktübertragungen noch eine Seltenheit. Kurz vorher meldete eine Sprecherin, in welche Länder auf der ganzen Welt anschließend gesendet wurde. Viersprachig wurden die einzelnen Stücke genannt, z.B. „Götterdämmerung“, „Twilight of the Gods“, „Crepiscule de Dieux“, „Crepuscholo degli Dei“. Die dabei zahlreich anwesende Prominenz beherrschte tagelang die Klatschnachrichten. Kluge Köpfe schrieben auch noch lange, schwer verständliche Kommentare. Jahraus. Jahrein.

Dieses Jahr ist da gar nichts, alles wurde abgesagt wegen der Corona-Krise. Aber auch in Zukunft wird man nicht einfach weitermachen können wie bisher. Gedrängte Menschenmassen auf der Bühne und im hustenden Publikum sind vorerst nicht denkbar. Aber es gibt viele andere Gestaltungs-Möglichkeiten. Filmprojektionen können eine grenzenlose Bilderflut erzeugen, mit einem geringen Aufwand. Die Musiker werden in einer neuartigen Sparbesetzung des unsichtbaren Orchesters den Takt angeben. Wer von den vielen Sängern nicht zu sehen ist, kann sich hinter dem Gebäude ausbreiten, wo rechtzeitig vor dem Ereignis die Ausstattung direkt in das Haus getragen wurde. Dazu muss man nur zusätzlich die große Ladetür weit öffnen und mit einer schwarzen Sichtblende die offenen Lücken unsichtbar machen. Musikalische Assistenten mit Monitorblick auf den Dirigenten können eine akustische Breitwand nach innen schallen lassen, bei der Nichts fehlt.

Konzentration und Beschränkung auf das Wesentliche. Das hätte schon immer so sein können. Der damalige Leiter und Meisterregisseur Wieland Wagner hat von 1951 bis zu seinem frühen Tod am 17.10.1966 vorgemacht, wie das geht. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand wenig Geld zur Verfügung, also hat man am Aufwand sparen müssen. Wieland hatte etwas viel Besseres zu bieten: Phantasie, künstlerische Genialität und die Erzeugung von optischen Wirkungen, die stark von der Psychoanalyse beeinflusst waren. Der Schweizer Analytiker Carl Gustav Jung (1874 – 1961) fand das Stichwort von den „Archetypen“, den frühen Urbildern aus der Evolution, der langsamen Entwicklung aller Lebewesen, deren Erinnerungsspuren im Gedächtnis eines jeden Menschen gespeichert sind. Vor der ersten Nutzung der abstrakten Sprache und der Schrifzeichen vertändigten sich die Menschen mit starken Symbolbildern, die ganz einfach gestaltet waren, aber auch heute noch eine tiefe magische Sofortwirkung erzeugen. Der Theaterfachmann Richard Wagner mochte überhaupt keine schrillen oder sensationellen Theatereffekte wie im Zirkus. Er schrieb, „Effekte sind Wirkungen ohne Ursachen.“ Also Täuschungsmanöver. In den Grundstein seines Festspielhauses ließ er einen handgeschrriebenen Zettel einmauern: „Hier schließ ich ein Geheimnis ein… So lange es der Welt sich zeigt, wird es der Welt nicht offenbar.“ Alles Sichtbare hielt er nur für eine Hülle, eine austauschbare bunte Verpackung, deren Zeichen aber auf das Innenleben und die Gedankenkraft seiner Werke ständig Hinweise und eine elementare Signalkraft auslösten, die den einsamen Rang der Gedanken so überragend verstärkte, dass sie in ihrer Eigenart bis heute nicht übertroffen werden konnten.

Sichtbares Zeichen dafür ist das brühmte Musiktheater, das auf der Spitze eines Hügels die Stadt überragt. Auf das feste Dach knallt die grelle Augusthitze ungedämpft und bestraft Alle, die dort nur aus Wichtigtuerei auftauchen. Aber auch sie werden durch die sinkende Gesamtqualität nicht angefeuert. Im Jahr 2009 fragte ich in der Pause eine ältere Gruppe in teurer Festkleidung, um was es in der „Götterdämmerung“ eigentlich geht. Die Antwort: „Das wissen wir auch nicht so genau. Aber seit 1951 sind wir jedes Jahr dabei.“ Wer drin ist, ist drin.

Seit sieben Jahren habe ich Bayreuth nur noch selten, aber nicht mehr während der Festspielzeit besucht. Auch andere Opernhäuser haben nicht nicht mehr ihren früheren Glanz und Zauber. Das Publikum geht eigene Wege, freut sich über legendäre historische Aufzeichnungen oder ist mit dem Schwung der Jugend auf ganz anderen Wegen unterwegs, zur Entdeckung unbekannter Bereiche, die noch nicht restlos erforscht worden sind.

Der Dichter Jean Paul schrieb vor zweihundert Jahren, „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ Ein Paradies muss das gar nicht sein. Auch schlechte Erfahrungen erweitern den Horizont. Aber Richard Wagners Welt ist ein eigenes Universum, ein Kosmos mit unentdeckten Galaxien und leuchtenden Sternen. Je älter man wird, desto genauer versteht man das.

Hier sieht man sein Wohnhaus im Winter, vor circa zwanzig Jahren:

Dazu das Finale der Walküre: „Der Feuerzauber“ :

https://www.youtube.com/watch?v=jRSGmFhrkMA

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