Ein großer Tag

26.8.2019. Große Tage bestehen oft nur aus Nebensachen, die allein für sich belanglos sind, aber im Zusammenspiel eine ausgefallene Wirkung haben. So war es gestern. Am Vormittag sind die Farben deshalb stärker, weil sie wie in der Pyramide eines Glasprimas in einem anderen Winkel auf die Erde fallen als mittags. Da wirken sie matter und schwächer. Vor allem bei leichtem Dunst wird alles Äußerliche blasser, um dann am späten Nachmittag wieder kräftiger zu leuchten.

Der Tag begann gestern wolkenlos, mit dem Licht einer erwachenden Sonne, die natürliche Weckrufe an Alle sendet. Unterwegs war das Fenster eines Hausflur zu sehen, mit zwei Teilen eines Vorhangs, der aber nicht geschlossen und abweisend war. Sondern zwei lange schmale Stoffbahnen hingen nach unten, wo sie mit einem großen Knoten zusammengebunden waren. So etwas bedeutet Gemeinsamkeit oder den Wunsch danach. Die Farbe des Stoffs war ein helles, pastellfarbenes Gelb, so wie das Sonnenlicht, wenn es mittags seine stärkste Kraft hat.

In einem kleinen Café tauchte dann „ganz zufällig“ der Bayern-Sepp auf, mit einem knallroten Hemd, damit ihn Keiner übersieht. Er wusste sofort wichtige Neuigkeiten. Morgens um sechs Uhr hatte ihn US-Präsident Donald Trump angerufen. Er war verzweifelt, weil er Grönland kaufen wollte, wegen der unterirdischen Bodenschätze und Niemand davon begeistert war. Der Bayern-Sepp wusste sofort Rat. „Ruf einfach den Putin in Moskau an. Ihr macht ein gemeinsames Sibirien-Projekt, weil dort unter dem Eis auch wertvolle Bodenschätze abgebaut werden können. Putin verkauft dir Sibirien natürlich nicht, aber ihr macht ein gemeinsames Projekt daraus. Die Amerikaner zahlen und verdienen, und die Russen sind zufrieden, weil sie auf einmal viel verdienen.“ Der Bayern-Sepp war stolz auf seinen Einfall. Aber dann rief auch schon der italienische Innenminister Matteo Salvini an, weil sein Chef Giuseppe Conte gerade die Regierung aufgelöst hatte und alle Minister plötzlich arbeitslos waren. Der Bayern-Sepp konnte ihn sofort beruhigen, „Jetzt gibt es Neuwahlen, Matteo, und du wirst der neue Regierungschef. Ja mei, der Mann hat sich gefreut !“ Sepp erzählte noch, dass die englische Königin Elizabeth auf seinen Rückruf wartet, weil sie Probleme mit ihrem Sohn Andy hat (Randy Andy). Die Lösung hatte Sepp natürlich schon fix und fertig, aber er ist ein wenig eitel und wollte erst einmal gelobt werden. „Sepp, stell Dich einfach vor deinen Wohnzimmerspiegel, ein Glas Champagner in der Hand und ruf Deinem Spiegelbild zu: Das war Spitze!“

Anschließend warteten andere Termine und Tagesziele. Zum Beispiel eine feurige Pizza „Diavolo“ (Teufel), serviert von einem Kellner mit dem Namen „Angelo“ (Engel). Kurz danach kam der Koch selbst herein und stellte einen Teller Spaghetti vor sich auf den Tisch. Dazu eine Flasche Rotwein, die er jedoch nicht öffnete, weil ihm noch ein Tischnachbar fehlte. Er lachte freundlich herüber, aber ich war schon auf dem Sprung zu gehen. Da stellte er sich vor das große Weinregal, suchte dort nach nach einer zweiten Flasche Wein, fand aber nichts Passendes. Es war nur noch Zeit für einen kurzen Abschiedsgruß. „Ciao.“ „Ciao“. Die große Stadt war gestern trotz bestem Wetter nicht überfüllt, und diesmal gab es auch keine aufdringlichen Belästigungen durch bezahlte Marionetten.

Mit dem Lesen aktueller Nachrichten und Gesprächen verging die Zeit rasch. Auch hier sind es manchmal Kleinigkeiten, die eine Tiefenwirkung auslösen. Aber das Alles sprengt den Rahmen eines einzigen Berichts, wird gespeichert, verarbeitet und gelegentlich auch interessant für andere Leute.

Nachmittags klang der Tag wieder aus in in einem kleinen Stehcafé. Bei dem attraktiven Wetter war zunächst kein anderer Gast anwesend. Nach ein paar Minuten tauchte doch noch ein zweiter Kaffeefreund auf. Er sprach lange in sein Handy, in fließendem Italienisch, obwohl er ein Deutscher war. Außerdem machte er keine Pause und fragte im Gespräch nicht nach, also war kein anderer Teilnehmer in der Leitung, und er führte ein spannendes Selbstgespräch. Natürlich hat er dabei Niemanden beachtet und ist grußlos gegangen. Aber er hatte gemerkt, dass ich ihn sofort erkannt hatte und gab ein kleines Zeichen, dass Niemand bemerkt hätte, selbst wenn drei Leute in der Nähe gewesen wären. Er ist ein Fachmann für exotische Vögel und erfüllt Nachfragen für ganz seltene Exemplare.

Zur Klarstellung: Es gibt Leute, in deren Gegenwart Niemand zu lachen wagt, weil sie durch eigene Leistung unbestrittene Respektpersonen sind. Aber es gab auch mal den unvergessenen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Beim Starkbieranstich auf dem Nockherberg ließ er, stets in der ersten Reihe, sich durch den Redner Walter Sedlmayr verspotten und kritisieren, lachte schallend dazu, aber nicht, weil ständig Fernsehkameras das Spektakel aufzeichneten, sondern weil er gern selbst in großen Bierzelten auftrat und und über die politischen Gegner kräftig herzog. Ernstzunehmende Persönlichkeiten können auch über sich selbst lachen. Daran erkennt man sie.

Wenn der Titel dieses Artikels von einem „großen Tag“ spricht, heißt das keinesfalls, dass auf einmal Regen, Kälte, Schnee und andere Naturphänomene plötzlich verschwunden sind. Vieles ist ernst genug und sucht nach überfälligen Lösungen. Voraussetzung dafür ist Kritik, und selbst Kanzlerin Angela Merkel betont immer wieder den Wert der Meinungsfreiheit, der seit siebzig Jahren eine entscheidende Rolle in unserer Verfassung spielt. Wer nur seine eigene Meinung ernst nimmt oder sie mit Macht und Geld anderen aufzwingen will, kennt die Spielregeln nicht, die unsere Republik in eine Spitzenposition gebracht haben, die weltweit anerkannt wird. Ohne solche Spielregeln gibt es nur Chaos und einen Rückfall in die Steinzeit.

Carl Orffs „Carmina Burana“ (Bauernlieder) zeigen einen großen Farbenbogen des mittelalterlichen Alltags: Engel und Teufel. Die Liebe im Dorfteich. Tanz unter der Linde. Den Wechsel der Jahreszeiten. Eine unübertrefliche Verflmung stammt vom Regisseur Jean-Pierre Ponnelle. Hier kann man das anschauen:

https://www.youtube.com/watch?v=Gj-tBVq61as

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