7.8.2021. Fahrräder sind im Flachland sehr bequem, aber nur dort. Für Schüler verkürzt sich der lange Schulweg, und bei Erwachsenen verbessert sich die Freizeit. Am Hauptbahnhof Münster stehen die Räder vor allen Wänden, weil die sparsamen Berufstätigen sie bis zur Zugfahrt an den Arbeitsplatz brauchen. Ein großer Kreis, die Promenade, eine alten Lindenallee ersetzt dort die frühere Stadtmauer, umgibt das alte historische Stadtzentrum und ist ideal für Fahrräder, die in jede Lücke schlüpfen. Jede Jahreszeit zeigt beim Durchfahren ihre Eigenarten, und hinter dem Lenker schwimmt man durch ein Meer von roten, weißen, gelben und blauen Farbtönen, als wäre es ein Konzert mit ungewohnten Instrumenten, deren Melodien im Gedächtnis sofort abzurufen sind.
Außer den Gebäuden und vorbeiziehenden Plätzen trifft man überall auf Menschen. Sie arbeiten in der Nähe oder spazieren hellwach herum. Vor Allem abends haben sie Begleitung oder suchen Gesellschaft. Das ist ganz unkompliziert. Aufdringliche Belästiger werden mit versteinerter Miene abgewiesen. Es heißt sogar, dass man mit einem Westfalen erst drei Säcke Salz gemeinsam essen muss, bevor er freundlicher wird. Aber das hat nur mit dem verregneten Klima zu tun. Die Leute benehmen sich genauso wie Eisbären in Alaska, tauen aber auch schnell auf. Je nachdem, wer gerade da ist. Auf Fahrrädern muss man nach oben buckeln und kann nach unten treten. Das allerdings ist eine allgemeine Berufskrankheit, weit verbreitet, mit den unterschiedlichsten Laufgeschwindigkeiten und stahlharten Ellenbogen, die sofort Platz verschaffen, wenn kein Anderer dabei zuschaut. Aber das Zuschauen kann auch der Auftakt sein für neue Entdeckungen. Manchmal reicht ein Blick, ein Gruß, und der Zug fährt los. Natürlich gibt es auch Fahrten, die man sofort vergessen kann.
Die Mehrzahl sieht anders aus. Zuhören ist nicht sehr beliebt, aber am Anfang dringend zu empfehlen. Dann kommen Stichwörter, die sofort Signale senden. Im Lauf der Jahre wiederholt sich das, so wie bei den Verkehrsschildern auf der Straße. Aber auch da weiß man dann, wo es weitergeht, Pausen erfreuen oder sogar der Rückwärtsgang. Das Kapitel Münster ist seit über 30 Jahren abgeschlossen, kein Ziel mehr, aber eine Fundstelle für Unglaubliches, das man zwar schon kennt, aber früher weniger gut verstanden hat.Es ist wie bei einem Tryptichon, einem alten Kirchenaltar aus drei kostbaren Teilen. Links und rechts sind Vergangenheit und Zukunft. In der Mitte sieht man den goldenen Hauptteil. Das ist die Lebensmitte, in der viele Entscheidungen sich noch gründlicher vorbereiten, die vorher gewachsen und stärker geworden sind, weil sie ein breiteres Fundament bekommen haben. Also eine haltbare Grundlage. In Münster hat das die klarsten Formen bekommen.
Voraussetzung waren Informationen, damals meistens aus Büchern. Und Begegnungen, die nicht nur an der Oberfläche vertrockneten, sondern eine Tiefenwirkung entfalteten. Im September 1987 war schon die endgültige Abreise gut vorbereitet. Und dann tauchten noch einmal Gesichter kurz auf, die sich einprägten, weil es das letzte Mal war. Die stärksten lassen sich genau erzählen, aber das hat nur einen persönlichen Wert. Allerdings entsteht nur so die Quelle für den Strom, der dann folgte und seine eigene Kraft aufbaute. Zum Thema „Münster“ gibt es hier schon über 60 Beiträge, zu den anderen Lebensabschnitten noch mehr:
https://luft.mind-panorama.de/category/der-koenigsblaue-see/3c-lebenserfahrungen-1971-1987/
Die Rückschau hat mit verklärter Nostalgie und Romantik nichts zu tun. Es ist eine Bilanz, eine Übersicht. Bei Firmen entscheidet das über den Geschäftserfolg, den Gewinn, aber das ist im Rest des Lebens nur eine Randerscheinung, wenn man die Maßstäbe dafür selbst festlegt.
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