Fasching, vier Tage 1988

11.1.2022. Wenn man 16 Jahre lang im friedlichen, überschaubaren Münster lebt, seit 1971, wird es dort auch langweilig, und andere Städte wie Berlin oder München kamen nicht in Frage, weil es dort teurer war und die alten Gewohnheiten viel wertvoller. Doch die Perspektive kann sich ändern, die Bewertungen auch, und später fragte ich einen alten Bekannten, warum er eigentlich nach Berlin gegangen war. „Weil ich in Münster jeden Pflasterstein in- und auswendig kannte.“ Und Berlin war 1980 noch nicht so teuer, hatte aber viele Winkel, die nicht sehr verlockend waren und Dauergäste aus aller Welt, mit einem ganz eigenen, nicht immer sehr freundlichen Benehmen. Für dieses Urteil reichte 1975 ein einziger Besuch mit dem Auto. Es gab noch die schwer bewachte Zonengrenze, und auf der Transit-Autobahn waren maximal 80 Stundenkilometer erlaubt, weil das Straßenpflaster große Schlaglöcher hatte. Die wurden auch nicht repariert, weil kein Geld dafür da war.

In Westberlin gab es viele Prominente, aber noch mehr waren längst umgezogen nach München, wo die alte Filmstadt Babelsberg einen strahlenden Nachfolger hatte: Die Bavaria-Filmstudios in Grünwald. Dort bauten sich auch viele Schauspieler große  Millionärs-Villen mit dichten Hecken, weil den ganzen Tag die Straßenbahn vorbeiratterte. Als die große Filmkrise vor 30 Jahren begann, wurden plötzlich Wohnungsmieten in Grünwald immer billiger, und die Fußball-Millionäre vom FC Bayern („FC Hollywood“) zogen um in die Altstadt, gern zum Gärtnerplatz. Dort kauften die Stars Dachwohnungen mit Aufzug, wo sie anonym blieben.

Einer von den Auserwählten saß aber gern im Erdgeschoss, wo eine Pizzeria sehr beliebt war. Dort trug er auch im Schatten eine große, schwarze Sonnenbrille, dazu ein weißes  Käppi, verkehrt herum und wurde dort nur von den schlimmsten Anhängern erkannt und belästigt, so wie er das vielleicht auch wollte.

In der Nachbarschaft hatte ich, die ganzen 30 Jahre bisher, auch einige Stammlokale, aber da änderte sich das Stammpublikum und wurde, in Einzelfällen, immer unangenehmer. Zum Beispiel kann man in einer überfüllten Straßenbahn es nicht, ändern, dass die Fahräste sich sehr nahe kommen, und das ist auch ganz alltäglich, in Großraumbüros. Aber wenn es möglich ist, gilt ein Mindestabstand von einem Meter, immer.

Diese Kenntnisse sind einfach verloren gegangen, auch etwa vor dreißig Jahren. Der Fasching, die Tollen Tage, waren in München immer sehr beliebt und spielte sich meistens in überfüllten Bierlokalen ab. Im Jahr 1988 war ich vier Tage lang dabei, mittendrin. Unvergesslich, ein Märchentraum von ganz eigener Art. Aber in den nächsten Jahren reichte das für immer, auch an vielen anderen Orten. Rosenmontag ist dieses Jahr am 28. Februar, aber eigentlich fällt er ganz aus, weil die Welt sich verändert hat.  Wer übertriebene Körpernähe gern mag, muss trotzdem niemals fremde Leute damit belästigen. Und deshalb habe ich seit einigen Jahren auf viele Stammlokale gern verzichtet. Das gilt allerdings nicht überall. Zum Beispiel Arbeiterlokale haben ein Publikum, das gern Klartext redet. Auch mit mir. Und meistens haben wir uns gut dabei verstanden, weil die alten Gesichter eine hochfeine Antenne hatten für Falschheit und Betrügereien.

Leider wird das immer mehr zum Erfolgsrezept. Aber nicht überall. Geheimtipps können ganz einfache Orte sein, und nur deshalb werden sie hier nicht genauer, also beim Namen genannt. Damit sie so bleiben, wie sie es jahrelang waren. München hat sich verändert, und in Zukunft wird das noch ganz andere Formen bekommen, die hier, als zuverlässige Prognose auch offen erklärt werden. Es liegt an den Denkmethoden, die längst verrostet sind, aber nur eine funktionierende Reinigung brauchen. Unter diesem Text findet man ein paar Stichwörter dazu.

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