Freuds Couch in London

10.9.2019. Sigmund Freud (1856 – 1939) emigrierte am 4. Juni 1938 aus Wien nach London. Sein vorheriges Leben verbrachte er in der Wiener Berggasse. Ein schmales Treppenhaus. Kleine Räume. Aber er hätte sie, sechzahn Monate vor seinem Tod, freiwillig nie verlassen. Nach Hitlers Machtergreifung und der Übernahme Österreichs in das Deutsche Reich bekamen Freud und seine Tochter Anna mehrmals Besuch von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), weil sie Juden waren. Durch Druck aus anderen Staten und mit der finanziellen Unterstützung von Marie Bonaparte konnte er schlöießlich die „Reichsfluchtsteuer“ bezahlen. Vor der Abreise legt ihm die Gestapo einen Zettel vor. Er sollte unterschreiben, dass er gut behandelt worden wäre. Freud zögerte nicht und ergänzte handschriftlich „Ich kann die Gestapo nur Jedermann weiter empfehlen.“ Als er in London das für ihn vorbereitete Haus und den idyllischen Garten zum ersten Mal sah, sagte er, „Am liebsten würde ich jetzt ‚Heil Hitler‘ rufen.“

Nach London wurde auch seine berühmte Patientencouch gebracht und befindet sich heute noch dort. Von Dummköpfen oft verspöttelt, ist ein derartiger Gegenstand heute immer noch eine sehr wirkungsvolle Methode der Therapie.

Das Prinzip ist ganz einfach: Der Patient legte sich entspannt hin und konnte frei sprechen. Dabei wurde er von Freud nicht angestarrt, sondern der Arzt saß ohne Ablenkung, anwesend aber unsichtbar, direkt hinter dem Kopfende und fragte nach den Störungen. Die Antworten nahm Freud ohne große Kommentare zur Kentnis. Wenn beim Erzählen Vorfälle wiederholt wurde und es abwehrend hieß, „Ach, das ist doch schon besprochen und unwichtig“, dann sagte der Psychoanalytiker, „Wenn Sie etwas wiederholen, ist es für die Verarbeitung der Probleme wichtig.“ Damit kam er den hartnäckigen Ursachen immer näher, konzentrierte sich darauf und war auf dem richtigen Weg zur Heilung. Durch eine Analyse und Bewertung der Gesamtsituation und ihrer Auffälligkeiten.

So einfach wie das klingt, ist es natürlich nicht. Voraussetzung waren ein abgeschlossenes medizinisches Studium, sogar Kenntnisse der Malerei und ganz anderer Gebiete wie der Archäologie. Daraus ergab sich die Fähigkeit, Details richtig zu bewerten und wie Mosaiksteine zu einem großen Bild zusammenzufügen. Von jedem seiner Schüler verlangte Freud eine gründliche Selbstanalyse, als Voraussetzung für den Beginn ihrer Tätigkeit, damit es keine Störeinflüsse durch die persönliche Entwicklung eines Kollegen gab.

Leider ist es so, dass in der ganzen Branche viele Scharlatane und Betrüger das große Geld machen wollen, die selbst einmal unter die Lupe genommen werden müssten, bevor man sie mit ihren Falschgutachten auf die Menschheit loslässt.

Ein arabischer Bekannter wurde wegen seiner berechtigten Existenzängste einmal zu einem Psychologen geschickt. Dort kümmerte man sich nicht um seine Probleme, sondern verwickelte ihn in eine demagogische politische Diskussion über die Krisen im nahen Osten. Ales er davon erzählte, habe ich nur gesagt, „Geh nie wieder dort hin.“

Besonders gefährlich sind Gerichtsgutachter, wenn sie sich vorher nicht mit dem Angeklagten beschäftigen, sondern wachsam die Prozessführung des Richters beobachten und dann das schreiben, was er wohl hören möchte. Dafür werden sie gut bezahlt und bekommen immer neue Aufträge, auch weil es sich herumspricht. Ein langjähriger Richter erzählte mir einmal stolz, dass seine Urteilsbegründungen immer sehr kurz seien. Also hat er nicht lange selbst nachgedacht, sondern einfach auf den beliebten und angesehenen Gutachter als Grund für sein Urteil hingewiesen.

Auf ähnliche Weise sind zahlreiche Justizskandale entstanden. Die Fälle Gustl Mollath und Jörg Kachelmann beherrschten monatelang die Schlagzeilen. Beide waren von ihren Partnerinnen angezeigt und mit heftigen Beschuldigungen überschuttet worden. Mollath hatte regelmäßige Schwarzgeld-Transporte seiner Ehefrau in die Schweiz mitbekommen und sie immer wieder aufgefordert, das zu unterlassen. Bei Kachelmann fand die Geliebte angeblich ein Flugticket für die gemeinsame Reise mit einer anderen Frau.

Beide unschuldig Verdächtigte sind – auch unter Mitwirkung einer sensationsgierigen Presse – von Berufsrichtern und Staatsanwälten massiv monatelang bedrängt worden, haben aber nicht nachgegeben. Zu verdanken ist das bei Kachelmann dem Rechtsanwalt Johann Schwenn, der in den Verhandlungen deutliche Worte fand. Bei Mollath reiste aus Hamburg extra der angesehene Rechtsanwalt Gerhard Strate an, der über den Fall ein sehr lesenswertes Buch schrieb. Für Strate war die Sache allerdings mit dem Freispruch seines Mandanten erledigt. Mollath jedoch wollte mehr über die Schuldigen wissen und hat mittlerweile den Freistaat Bayern auf 1,8 Millionen Euro Entschädigung verklagt.

Das dürfte selbst die Justiz zum Nachdenken bringen. Denn wenn gezahlt wird, muss auch die Frage des Regresses geprüft werden. Vorhandene Haftpflichtversicherungen zahlen nicht bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Dann haften die Täter mit ihrem Privatvermögen.

Wie man mit einem schwer Beschuldigten und eigentlich auch schon überführten Täter umgeht, hat der Kriminalbeamte Werner Avner („Lichtgott“) Lesser gezeigt. Er verhörte wochenlang den vorherigen Leiter der Judenvernichtung im Dritten Reich, Adolf Eichmann. in Jerusalem. Zahlreiche Dokumente hatten schon jahrzehntelang dessen Schuld zweifelsfrei bewiesen. Lesser hatte sogar seine ganze Familie im Konzentrationslager verloren und ließ bei Eichmann daran überhaupt keinen Zweifel. Aber er bedrohte ihn nicht, verzichtete auf Einschüchterung und Angstmache, sondern führte ein langes Gespräch mit dem Organisator des Holocaust. Ziel war, möglichst viele Informationen aus erster Hand zu bekommen. Jeder Zwang hätte da versagt, denn dann blockiert sich die Erinnerung, und der Befragte antwortet nur das, was von ihm hören will. Solche erzwungenen Geständnisse dürfen vor Gericht nicht verwendet werden. Lesser gelang es jedoch mit seiner Methode, eine Überfülle von fehlenden Hinweisen zu erhalten. Nach jedem Termin warteten draußen Uniformierte, die Eichmann schonungslos, aber ruhig sagten, dass er seinen nächsten Geburtstag nicht mehr erleben werde. Der natürliche Überlebenswille brachte ihn dazu, noch möglichst viele Gespräche mit Lesser führen zu können.

Als Eichmann im schusssicheren Glaskasten des Prozesses saß, der mit seinem Todesurteil endete, zeigte ein Dokumentarfilm ganz kurz unter den Zuschauern auch Werner Avgner Lesser. Er sagte kein Wort. Seine leuchtenden Augen feierten keinen Triumph, sondern die Erkenntnis, dass seine Methode die einzige war, die an das Ziel führte: Alle denkbaren Details der eigentlich unbegreiflichen Vorgänge zu erfahren.

Diese Methodik ist der Psychoanalyse sehr verwandt, auch weil sie jede sensationellen Schau-Elemente vermeidet, die bei anderen Psychologen nur zum schweren Schaden ihrer oft ahnungslosen Opfer führen.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.