12.9.2019. Die Bücher von Gabriele d’Annunzio ( 1863 – 1938 ) werden heute kaum noch gelesen. Er war Dichter, das heißt, er konzentrierte seine Sprache so sehr, dass Nebensachen möglichst ausgelassen und Wichtiges mit starken Worten beschrieben wurde. Außerdem war er Politiker und dabei sehr aktiv.
Gestern hat ihm die „Abendzeitung“ eine ganze Seite gewidmet, sonst wäre er weiter unbeachtet geblieben. Mit 2.500 Freischärlern besetzte er vor hundert Jahren die italienische Stadt Fiume an der Grenze zu Jugoslawien. Beide Länder wollten den Ort regieren. Den Weg versperrte ein General mit seinen Truppen. D’Annunzio ging einfach auf ihn zu und sagte, „Lassen Sie direkt auf mich schießen.“ Damit gelang ihm der Weitermarsch. Hintergrund war ein Streit um den Versailler Friedens-Vertrag, am Ende des ersten Weltkriegs. Italien stellte dabei Ansprüche, die nicht erfüllt wurden.
Das dichterische Werk des Kämpfers war symbolistisch. Er benutzte also eine starke Bildersprache, die sehr eindringlich wirken kann. Gleichzeitig hatte er die Fähigkeit für eine streng wissenschaftliche, nüchterne Fachsprache, die seine politischen Pläne unterstützte.
Der Österreicher Hugo von Hofmannsthal bescheinigt ihm schon 1893 eine „fieberhafte Farben- und Stimmungstrunkenheit“. Der Italiener entwickelte aber auch eine Strategie für militärische Angriffe mit Torpedobooten. Mussolini stand ihm skeptisch gegenüber, auch weil hartnäckig Pressefreiheit gefordert wurde. D’Annunzio schrieb einen Rundbrief an die psyhiatrischen Krankenhäuser, „alle ungefährlichen, aber als verrückt geltenden Insassen“ zu ihm nach Fiume zu schicken. Denn er konnte mit den dortigen Offiziellen keine Änderungen erreichen. Er galt bei Vielen als Rechtsextremist, aber er förderte neue Ideen, um etwas Neues zu verwirklichen.
Damit ist er nicht allein. Die lange Menschheitsgeschichte wurde nicht von trägen Beamten weiter entwickelt, sondern von solchen Köpfen, die im Jahr 1789 die Französische Revolution zunächst in theoretischen Büchern planten und dann mit der tatsächlichen Abschaffung der Monarchie auch durchsetzten. Sonnenkönig Ludwig IV. hatte zu seiner Zeit noch arrogant geprahlt, „Der Staat – das bin ich.“ Das reichte dann, und zum ersten Mal beherrschte später den gesamten Staat die mächtige Gewaltenteilung: Die saubere Trennung von Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit und ausführender Verwaltung.
Wenn das nicht funktioniert, ist Alarmstufe Rot angezeigt. Der Staat beschließt Gesetze, aber er darf sich nicht in die Rechtsprechung und ihre Urteile einmischen. Die Justiz wiederum darf sich nicht in die Arbeit der Kriminalbeamten, Gerichtsgutachter und Spurenauswerter einmischen, sondern nur ihre Ergebnisse bewerten.
Die Rechtsverstöße geschehen trotzdem. Ergebnis sind in vielen Fällen kranke Staaten, die morsch sind und ihr Fundament verlieren.
Italien hat da viel Pech gehabt. Die über siebzigjährige Nachkriesgeschichte ist geschüttelt von Skandalen im ökonomischen und politischen Bereich. Die Verursacher sind bekannt, aber sie konnten viel zu lange einfach weitermachen.
Gabriele D’Annunzio blieb am Ende erfolglos, aber er hatte die geistige Kraft, Veränderungen beim Namen zu nenen. Seine Irrtümer sind kinderleicht zu finden, aber die Energie, mit der er nach Ursachen forschte, gab es unter seinen Zeitgenossen nicht.
Italien ist zu Recht ein Traumland, wenn damit die Landschaften, die historischen Städte und die Kultur gemeint sind, vor allem die Opern, die aber immer nur ein paar Wochen in ihrem Geburtsland gespielt werden, weil kein Geld da ist.
Dabei könnte man die wichtigsten Veränderungen auslösen, wenn man sie nicht nur beschreibt, sondern auch realisiert. Das sind keine Seifenblasen oder unerfüllbare Luftschlösser, sondern offensichtliche Versäumnisse, deren Heilung jederzeit möglich ist.
In vielen Gesprächen mit unterschiedlichen italienischen Staatsbürgern über die Sorgen ihres Landes und seiner Bevölkerung habe ich Viel darüber gelernt. Das in eine Kurzform zu bringen, ist nicht schwer.
Die schlimmsten Fehler geschahen im ökonomischen und politischen Teil. Italien hat weltbekannte, angesehene Marken: Ferrari. Armani. Die Delikatessen aus dem Piemont. Geschaffen von Spitzenmanagern und deren Mitarbeitern.
Aber das ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit. In vielen Spitzenpositionen oder an wichtigen Schaltstellen saßen oft unfähige Köpfe, die durch private Beziehungen ( Vitamin B ) oder Bestechung an die Macht gekommen waren und dort einfach nicht loslassen wollten. Zu Gunsten ihres persönlichen Netzwerks aus Macht und Geld. Zum Schaden der Gesamtbevölkerung, vor allem im Süden.
Die zweite Nationalhymne des Landes ist der Gefangenenchor aus Verdis „Nabucco“. Bei festlichen Veranstaltungen singen ihn manchmal Hunderte von Menschen mit.
Aber die Seele des Südens findet man in Mascganis „Cavalleria Ruasticana“ (Bauernehre). Hier sind die leidenschaftliche Musik und die leicht verständliche dramatische Handlung konzentriert, auf eine einzige Stunde am Ostersonntag, in einem sizilianischen Dorf bei Catania . Zu Beginn hört man im Dialekt ein feuriges Liebeslied von Giuseppe Garibaldi, der schon 1860 die Vereinigung von Nord- und Süditalien erkämpfte, aber nicht erreichte, dass zum politischen Gesamtbild vor allem auch eine feste innere Einheit der Bevölkerung gehört. Das ist bis heute nicht gelungen.
Beim Ravenna Festival 1996 wurde das gesamte Werk Macagnis verfilmt. In den Hauptrollen: Waltraud Meier und José Curoa, der einem alten Freund damals sehr ähnlich sah. Hier kann man das anschauen:
https://www.youtube.com/watch?v=TlLbtJ1wiw0
Aber es gibt auch mutige Einzelpersonen, die gegen alte Misstände kämpfen.
Hier ist dazu eine ausführliche Website: