27.9.2020. Giacomo Puccini wird von einigen Opernfreunden mehr geschätzt als Giuseppe Verdi, weil er außer dramatischem Feuer auch die große Träne feierte: Tiefe Gefühle, überfließende Sentimentalität, die Hand immer nahe am Taschentuch.
Er hat viele Sänger dazu gebracht, auf der Bühne ihren tiefsten Gefühlen freien Lauf zu lassen. Noch näher mit ihm verwandt, wie ein Sohn, ist Jonas Kaufmann. An der Mailänder Scala wurde ein großer Puccini-Abend mit ihm aufgezeichnet, der sogar in Filmkunst-Kinos erfolgreich lief.
Kaufmann hatte zu dieser Zeit noch eine dunkle, baritonale Stimmfärbung. Später verstärkten sich die oberen Bereiche, und er konnte in den höchsten Tönen schmettern wie Caruso.
Gesungen hat er schon sein ganzes Fach, sogar den stimmverschleißenden Othello, mit Glanz. Aber bei Puccini ist er wie selbstverständlich einfach zu Hause, im Wohnzimmer. Mühelos tönen die dunklen Farben, aber zu strahlendem Glanz entfaltet er sich in der Höhe ganz weit.
Das Puccini-Programm konzentrierte sich auf die beliebtesten Stücke, Aber sie klangen wie neu.
Im Juni 2010 sah ich Kaufmann ganz zufällig auf der Sonnenterrasse des Münchner Lenbachhauses. Er unterhielt sich mit Thomas Voigt, einem sachkundigen Musikjournalisten und einer seiner Bewunderer. Ich habe sie nicht durch Anstarren belästigt, wartete aber mit abgewandtem Gesicht, diskret, geduldig, vier Tische weiter. Kaufmann ging dann direkt an mir vorbei. Es störte ihn überhaupt nicht, eine kurze Bemerkung freundlch zu beantworten: „Im Juli singen Sie Lohengrin, zum ersten Mal in Bayreuth. Regisseur Hans Neuenfels ist ja sehr umstritten.“ „Ach, mit dem habe ich schon ein paar Mal zusammen gearbeitet.“ Dann war er weg.
Im August wollte ich die dritte Vorstellung besuchen. Zwei Stunden vorher saß ich mit einem Bekannten draußen vor dem „Bayerischen Hof“. Da hielt direkt vor uns ein Sportwagen. Heraus sprang Klaus Florian Vogt, ein anderer Tenor und verschwand im Hotel. Ich sagte, „Was macht der denn hier? Heute Abend singt doch Kaufmann.“ Falsch. Im Theaterfoyer hingen aktuelle Zettel, dass Kaufmann abgesagt habe uund Vogt für ihn einspringt. Die Vorstllung war eine optishe Provokation. Lohengrin, im weißen Ärztekittel, als Leiter enes modernen Versuchslabors für Ratten. Sie waren groß wie Menschen. Drinnen steckte der große Festspielchor. Musikalisch war Alles vom Feinsten. Dirigent Andriss Nelsons entfaltete märchenhafte, romantische Klänge. Aber das reichte nicht aus, um mehr als Verärgerung zu empfinden.
Seitdem ist Jonas Kaufmann dort nicht mehr aufgetreten. Befragt von der Presse, meinte er nur, „Ich habe noch so viele Jahre, um dorthin zurückzugehen.“ Bis heute ist das nicht passiert.
Dafür war er auf der ganzen Welt unterwegs. Konzertabende in Moskau. Abendfüllende Auftritte in den großen Opernhäusern, oft hervorragend gefilmt.
Was wird kommen? Das ist für alle Musikfreunde ungewiss. Vor Allem für die Sänger und Dirigenten. Die Musiktheater sind alle geschlossen. Neue Formen der Vermittlung müssen erst noch entdeckt werden. Möglichkeiten gibt es genug. Zum Beispiel: Die Öffnung aller Musikgebäude für eine festgelegte Zahl von Besuchern (Mindestabstand). Das gilt für all großen Gemeinschafts-Bereiche. Die Möglichkeiten der Medien, z.B. Filme, müssen ausgebaut werden. Diese kurze Liste lässt sich verlängern.
Hier sieht man 16 Minuten aus dem Mailänder Puccini-Komzert mit Jonas Kaufmann:
https://www.youtube.com/watch?v=3YWQ7cgfdv4
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