Hohenzollernplatz

5.9.2020. Der Hohenzollernplatz liegt in Schwabing-West. Keine vornehme, aber gute Gegend. Fast nur mehrstöckige alte Wohngebäude mit Ornamenten, Stuck-Figuren, kunstvoll bemalten Fassaden. Viele kleine Läden. Schatzkisten. In einem Möbelgeschäft mit preiswerten Kostbarkeiten habe ich meinen ersten Regalschrank gekauft und blieb dann bis Sommer 2000. So war auch die ganze Gegend. Echte Ölgemälde zum Spottpreis. Schnäppchen bei allen Themen. Im gleichen Haus wohnte der Fernsehschauspieler Max Grießer mit Familie, ganz unauffällig. Er konnte sich freuen, wenn man ihn auf seine letzte Rolle ansprach. Durch schnelle Verkehrsverbindungen war man nach fünfzehn Minuten in der Stadtmitte, am Marienplatz. Und von dort öffneten sich alle Himmelsrichtungen, für Erlebnisse und Treffen. Ein Freundeskreis war ganz schnell da, aber hinter gut frisierten Masken und versilberten Kopfbedeckungen stecken oft nur leere Hohlräume, die man nicht braucht. Im Sommer lockten überall die großen Biergärten. Bei schlechtem Wetter kam ein starkes Licht oft aus der Staatsoper, die in den ersten Jahren hochwertige Abende bescherte, mit Weltklasse-Sängern und ein paar überlebenden Inszenierungen früherer Epochen. Günter Rennert, Otto Schenk waren nur einzelne Beispiele für die Gestaltung starker visueller Eindrücke, die jahrzehntelang als Publikumserfolge überlebten. Beim Premierenpublikum dominierten Luxusgarderoben, die man am übernächsten Tag in der schwatzenden Klatschpresse sah. Aber es gab auch fachkundiges Publikum, außerdem Mitarbeiter des Hauses, mit denen man die nach außen geschlossenen Premierenfeiern besuchen konnte, wo die bekannten Sänger-Stars und die Gestalter der eindringlichen Ausstattungen gern zu Gesprächen bereit waren. Belästiger mit Klebstoff und zähe Klammeraffen mochte keiner, und man sah sie auch nicht, denn für Schwätzer gab es viele überteuerte Edelrestaurants in der Nähe.

München wird immer unauffälliger, weil die Sensationen sich durch Wiederholung abgenutzt haben und niemand dafür bezahlen will, der nicht mindestens drei Ferraris in der Garage hat. Die Langeweile ist nicht einmal mehr ein Tagesgespräch. Aber sogar das ist nur ein lückenhafter Teil der Wirklichkeit.

Zu den langweiligsten Stadtteilen gehört das östliche Schwabing. Die Münchner Freiheit war einmal der Mittlpunkt für bekannte Künstler. Das ist hundert Jahre her. Seit etwa vierzig Jahren ballen sich dort Touristenziele. Wirtshäuser. Herumspazierende Freizeit-Gruppen nach Mitternacht ohne feste Ziele.

Seitdem ich dort Niemand mehr persönlich kenne, ist das Interesse erloschen. Die sehenswerten Gegenden liegen weiter weg. Auch wenn dort gelegenlich Publikum auftaucht, das von zahlreichen Zivilpolizisten pflichtgemäß angeschaut wird. Hier stehen auch noch die letzten feinen Brüder aus der guten alten Zeit, also viele Schauspieler in täglich wechselnder Verkleidung und ein paar reifer gewordene Prominentenwirte, die gern von ihren früheren Stammkunden erzählen und die großen Fotos zeigen, wo alle gemeinsam teuren Schaumwein schlürfen. Ein reicher Fabrikant liebte es, spätabends das wertvolle Mobiliar mit eigener Hand zu zertrümnern, ließ aber die Schadensrechnung immer pünktlich am nächsten Morgen von seinen Mitarbeitern bezahlen.

In den Sechziger Jahren war München weltweit bekannt für solche Spässe, hatte aber immer noch viel mehr zu bieten. Für jeden Geschmack. Der kulturbesessene König Ludwig I. füllte den gesamten Königsplatz mit Statuen, Bildern und Gebäuden aus dem griechischen Altertum. Doch seine rücksichtslose Affaire mit der Spanierin Lola Montez trieb wütende Bürger vor sein Haus. Sie musste verschwinden, und er trat zurück. Sein Finanzminister, Graf Montgelas, bekam die Genehmigung, alle Klöster im Land zu schließen, damit dort Niemand mehr Kirchensteuern in Empfang nahm. Und der 1988 verstorbene bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauss wird durch die Erzählungen seiner zahllosen Hinterbliebenen immer noch ganz schnell lebendig. Er liebte nicht nur Opern, sondern kannte jede seiner Rollen schon vorher auswendig, ohne dass er immer erkannt wurde. Sein enger Mitarbeiter Peter Gauweiler, der auch für Kraftausdrücke bekannt war, war aber im Wahlkampf bereit, sich von mir anzuhören: „Ihre politische Meinung teile ich nicht. Aber wenn Sie reden und dabei auf die Pauke hauen, schläft Niemand ein.“ Darauf zog er eine Autogrammkarte mit Foto und vermerkte handschriftlich: „Für meinen Kritiker. Ihr Peter Gauweiler.“ Solche Andenkenstücke bewahrt man gern auf.

Aber selbst ein Fußballstadion wäre zu klein für die Erinnerungen an die ersten und die späteren Jahre in München. Die einzelnen Abschnitte hatten viele Belanglosigkeiten. Aber hinter den Fassaden öffneten sich immer mehr Schleier und Vorhänge. Vergleiche sind ein Zentralschlüssel für Auffälligkeiten, deren Ursache erst nach Jahren erkennbar wird. Fehler und Irrtümer haben Abläufe, die sich nicht rückwärts drehen lassen, aber unvermeidbar waren, wenn bösartige Figuren sich einmischten. All verwehte Spuren kann man wiederfinden, weil das Internet und ganz andere Werkzeuge eine Goldgube für die Forensik ist, die wissenschaftliche, sachlich neutrale Spurenauswertung.

Da gibt es noch viele Lücken. Sie zu schließen, ist Aufgabe der Behörden, der Gerichte, der Mitwisser, Zeitzeugen und Journalisten.

Wenn sie versagen, müssen die Informationen sich nicht vermehren, sondern qualitativ verbessern. Zugänglich sind sie für Jeden.

Die Musik von Johann Sebastian Bach gehorcht strengen logischen Gesetzen, ist gleichzeitig erfüllt von tiefer Nachdenklichkeit und Zuversicht. Hier hört man seine Orchestersuite Nr. 3:

https://www.youtube.com/watch?v=FuMtEof9MWs

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