Ganz enge Holzbänke

14.9.2021. Besucher und alte Leute sitzen am Mittelmeer gern auf Holzbänken, um miteinander zu reden oder bis zum fernen Wasser-Horizont zu schauen. 1965 habe ich auf der Nordsee-Insel Wangerooge, in den Schulferien, die ersten Sonnenuntergänge dort erlebt. Eine bunte Kitsch-Postkarte ist gar nichts dagegen. Über dem gewaltigen Meeresspiegel flammte eine blutrote Sonne und färbte das gesamte Himmelsgewöbe mit den kräftigsten Farben ein.

Ein Kollege aus Niederbayern, der nur am Wochenende Zeit für sein Privathaus im einsamen Wald hatte, erzählte mir, dass hinter den Fenstergardinen seine Nachbarn standen, wenn er auf einer Gartenbank ausruhte, und sie erzählten ringsum: „Die sind zu faul zum Arbeiten!“ Ein derart dummdreistes Schlechtmachen findet man nur bei Leuten, die selbst nicht richtig arbeiten. Sie werden im Beruf am schnellsten befördert, bekommen Leistungsprämien und vergiften das  Betriebsklima wie Giftspinnen. So hat Nietzsche sie genannt. Taranteln.

In den Kleinstädten fühlen sie sich besonders wohl. Überall gibt es Sichtblenden und Grenzen, für den Privatbereich und für die freie Entfaltung des Verstands, die Lebenserfahrungen. Die Durchschnittsgehälter sind niedrig, aber selbst darauf kann man wütend und neidisch sein. Das frisst sich eisern fest. In München kenne ich ein paar kluge Köpfe, die aus ganz einfachen Verhältnissen kommen. Später besetzten sie Spitzenstellen in großen Konzernen, obwohl die offiziellen Amtsinhaber fest auf ihren goldenen Sesseln sitzen blieben. Das Geheimnis war „Vitamin B“. Beziehungen. Durch versteckte Netzwerke und Querverbindungen hatten sie Universalschlüssel für jede wichtige Tür und mischten sich drinnen auch ein, obwohl Niemand das bemerkte. Sie erzählten gern darüber, aber  kostenloses Freibier gibt es dazu nicht. Weil sie als Kinder ganz arm waren, konnen sie auch als Erwachsene nichts mehr abgeben, sondern stecken lieber ein. Damit die Hosentasche dabei nicht platzt, muss sie aus echtem bayerischem Bauern-Gebirgsleder sein, denn bei den echten Bauern darf keine Münze spurlos verschwinden. „Auf der Alm gibt es keine Sünde, weil dort keine Menschen sind.“ Das kräftige Sprichwort stimmt immer noch.

Es gibt tatsächlich einfache Pförtner, die in großen Gebäuden schwere Ringe mit Metallschlüsseln herumschleppen. Allein das metallische Klappern sorgt für Aufsehen, und die weit offenen Ohren sieht Niemand. Leider bleibt eine Menge Müll darin hängen, vor Allem, wenn man später alle mitgenommenen Einzelteile genauestens untersucht. Dann bleibt das Ganze ein ungelöster Fall, der sich  leicht hätte aufklären lassen. Denn es reicht immer ein einziger Universalschlüssel, der in jeden Türgriff sofort hineinpasst. Für das gewöhnliche Volk reichen Bereich-Schlüssel, aber nur  für drei Räume. Damit kommen sie auch nur dort herein, wo sie auch tatsächlich arbeiten sollen. Das ist nicht so beliebt. Wer aber gegen eine solche Normalität protestiert oder herumschreit, fällt erst richtig auf. Denn misstrauische Blicke fragen: Warum?

Darauf gibt es viele Antworten. Ein angesehener Abteilungsleiter wurde von seinen Chefs nachts im Kassenraum beobachtet, weil er Bargeld aas dem Firmentresor nahm. Dafür hatte er einen genehmigten Schlüssel, aber auf die Schliche kam ihm nur eine Überwachungkamera. So weit muss es gar nicht kommen. Es geht auch ohne Technik. Diebe und Betrüger erkennt man an vielen unauffälligen Merkmalen: Übertriebene Freundlichkeit. Neugier. Geschwätzigkeit und eine verkrampfte, versteinete  Gesichtsmuskulatur, die zu breit lächelt, aber dabei einen harten Blick hat, eine düstere Mischung aus Angst und Aggressivität. Das reicht meistens. Weitere Merkmale sind hier schon oft beschrieben worden.

Kleinstädte sind eine wertvolle Schule, eine Vorbereitung für das ganze Leben. Wenn sie Sehnsucht nach Heimatgefühlen wecken, ist der Bewohner auch mit der knappen Enge zufrieden. Gäste besuchen ihn gern. Manche treffen sich dann beim Notar wieder. Der lässt nur einen Videofilm laufen, in dem der Verstorbene die eingeladenen Anwesenden grob beschimpft und dazu lacht: „Mein ganzes Geld erbt das Tierheim, damit die armen Viecher auch etwas zu lachen haben.“

Bei Erbschaften bricht Krieg aus. Mit  unsichtbaren Boxhandschuhen. Sieht man im Bekanntenkreis solche Leute, muss man sich  von ihnen fernhalten. Sind es Mitarbeiter, muss man sich von ihnen trennen. Michail Gorbatschow, Jahrgang 1931,  sorgte vor dreißig Jahren für den Fall der Berliner Mauer und die Wiedervereinigung von Gesamt-Deutschland. Damals sagte er, „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Das gilt auch in Zukunft. Aber die fehlenden Informationen dazu haben sich stark verbessert. Ein unbesiegbares Rad, das sich nicht rückwärts drehen lässt.

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