19.9.2020. Als die drei Tenöre Carrras, Domingo und Pavarotti 1990 in den römischen Caracalla-Thermen die Fußball-Weltmeisterschaft eröffneten, waren sie längst Opernstars. Domingo ist immer noch als Dirigent akltiv, und er leitete persönlich, vor dem Mailänder Dom einen Abend mit den drei jungen Tenören, alle erst Mitte Zwanzig, seit 2009 im Einsatz. Sie nennen sich „Il Volo“ (Der Flug). Eine ganz andere Geschichte.
Hier ist fast nichts mehr spontan, sondern bis ins Detail vorausgeplant: Die Auswahl der drei jungen Solisten, ihre Abendkleidung mit schwarzen Anzügen, weißen Hemden, schmalen Krawatten. Sie sind attraktiv, sportlich, die Stimmen sind erstklassig, am Mikrofon. Ob sie, ohne technische Verstärkung, ein altes Opernhaus mit zweitausend Gästen bis in den letzten Winkel beschallen Können, weiß man nicht, und in Zukunft wird es solche anstrengenden, stimmverschleißenden Exklusivitäten gar nicht mehr geben. Das Programm geht von bekannten Opernmelodien über volkstümliche Lieder aus Neapel, bis zu klassischen Schlagern. „Il Volo“ (Der Flug) landen überall gleich gut. Es spielt ein großes Sinfonieorchester, ein berühmter Altstar wie Domingo rudert dazu mit beiden Händen. Die Solisten bewegen sich ganz natürlich, aber Alles ist perfekt einstudiert: Das milde Lächeln, gelegentliches Winken, die sparsamen oder kurzen, heftigen Bewegungen, und auf der ganzen Welt haben sie ein zufriedenes Stammpublikum der gehobenen, gut zahlenden Preisklasse.
Mittlerweile gibt es unzählige, meist ausverkaufte Konzert-Aufzeichnungen, sorgfältig ausgefeilte Studio-Filme und lebhafte Interviews mit optimistischen Jubeltönen. Der ganze Musikbetrieb auf allen Kontinenten ist, für alle betroffenen Musiker und öffentlichen Konzerthäuser seit letztem April geschlossen, bewegt sich im Schneckentempo oder ist dringend auf Ideen angewiesen. „Il Volo“ hat zwar immer noch gemeinsam gesungen, aber nur für Skype Im Internet, jeder in seiner Privatwohnung, ungeschminkt in lässiger Freizeitkleidung, ohne Orchesterbegleitung.
Das ist nicht nur sympathisch, sondern man bekommt Lust darauf, in den vielen vorhandenen Filmaufzeichnungen herumzuschauen, die alle sehr professionell vorbereitet wurden. So wird es auch überall weiter gehen, aber nicht mehr mit den alten Methoden. Die Medienbranche muss sich noch viel einfallen lassen, mit wechselnden Schauplätzen, Außenaufnahmen, sehenswerten Innenräumen. Im Ansatz gibt es das längst, aber es ist nur der Anfang.
Nur als aktuelle Kostprobe; Vittorio Grigolo singt in menschenleeren Straßen den alten Schlager „Arivederci Roma“:
https://www.youtube.com/watch?v=crk3-g4Us6k
Das geht auch ganz anders, aber nicht wie in den hektischen, unruhigen Video-Clips vor zwanzig Jahren. Zu jedem musikalischen Tempo, zu jedem guten Text passt eine gute Gestaltung. Das Gesamtangebot wird sowieso stark schrumpfen, weil das Beste bereits hundertfach zur Verfügung steht. Bedeutende Sänger und Dirigenten werden überleben, aber sie werden nicht mehr tausendfach gebraucht. Für den Nachwuchs stellt sich unvermeidlich die Existenzfrage: Kann ich auch einen ganz anderen Beruf beginnen?
Das ist schade, darf aber nicht überhört oder ignoriert werden. Als die ersten Handwerker im 19. Jahrhundert durch große Fabriken abgelöst wurden, gab es blutige Unruhen wie bei den kämpfnden Textilwebern in Schlesien.
Das nützte zwar nichts, aber erregte die Aufmerksamkeit von Denkern wie Karl Marx. Seine ganz neuen, vorher unbekannten Ideen verwirklichte Lenin bei der russischen Oktoberrevolution vor hundert Jahren. Der tragische Riesen-Irrtum war die Illusion, dass alle Menschen gleich wären. Das sind sie nur in ihren Grundrechten und berechtigten Ansprüchen gegen den Staat. Wer das übertreibt, landet auf dem Glatteis. Die Leistungen einzelner überragnder Persönlichkeiten und ihre Verwirklichung durch ganze Länder haben das veränderbare Gesicht der Welt weiter lebendig gehalten. Das wird auch in Zukunft so sein.
„Il Volo“ singt hier vor dem Mailänder Dom, unter der Leitung von Placido Domingo, Puccinis „Nessun Dorma“ (Keiner schlafe) :
https://www.youtube.com/watch?v=pWffUAg8zyc
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