Im Abendrot

12.12.2020. Ein Abschied von Bayreuth ist für die meisten Bewohner finanziell nicht möglich. Den Besuchern für ein paar Tage ist es egal. In der Natur ist das auch so. Sonnenuntergänge sind am eindrucksvollsten am Meer, wo freie Sicht den großen Spiegel von Himmel und Meer weit öffnet. Ansichtskarten mit diesem Motiv wirken schnell kitschig, weil die Farben an einem wolkenlosen Tag sehr stark sind. Gleichzeitig ist es eine melancholische Situation, die viele Dichter zu philosophischen Versen angeregt hat. Denn das Ende des Tags erinnert auch an das Ende des Lebens, das sich noch einmal in seiner ganzen Pracht zeigt. Aber in der Nacht geht es ja weiter. Sobald das Tageslicht wieder da ist, beginnt die Morgendämmerung im Osten. Viele Glaubensgemeinschaften sehen das als Zeichen des Neubeginns an, wie eine Wiedergeburt, den Beginn des Arbeitstags, an dem viele Termine und Pflichten warten,

„Ex oriente lux.“ Aus dem Osten kommt das Licht. Von Europa aus gesehen, ist das der Nahe Osten, mit dem Zentrum der arabischen Länder, deren Blütezeit vor tausend Jahren in einem berühmten Buch zusammengefasst ist: Den Märchen aus 1001 Nacht, in deren Mittelpunkt der weise Kalif von Bagdad stand, Harun al Rashid. Er lebte tatsächlich. Persönlichen Kontakt zu ihm hatte Karl der Große, der im Jahr 800 n. Chr. im Aachener Dom zum Kaiser gekrönt wurde, vom römischen Papst persönlich. Karl gründete auch das Bistum Münster, mit dem Bischof Ludgerus. In Westfalen habe ich die ersten 38 Jahre gelebt, dann ging es mach München, nach Bayern. Dort trafen dann auch zwei ganz eigene Welten zusammen, die ländliche Provinz und die Weltstadt, die vor dreißig Jahren ihren höchsten Glanz entfaltete, dann aber immer mehr scharfe Risse bekam. Mit Fotos, Videos und Reiseberichten habe ich diese dreißig Jahre dokumentiert. Zuletzt lagen diese gedanklichen Schätze im Schrank herum. Aber sie werden jetzt wieder lebendig, als ob ein neuer Tag beginnt.

Ein Mittelpunkt dieser Zeit war Karls Imperium, das Frankenreich. Kürzlich habe ich mir meinen ersten Film von 1991 angeschaut. Er zeigt eine Reise, die acht Tage dauerte, mit den Schauplätzen Bamberg, Coburg, Bayreuth, Rothenburg, Ansbach und vielen anderen. Die Bildqualität ist recht gut. Der Ton ist erhaltenswert, denn er gibt die Originalgeräusche wieder, ohne Musikbegleitung. Gespräche, Autolärm. Und nach zehn Jahren Pause war plötzlich Alles wie neu, überraschend und voller Details, die man längst vergessen hatte, die aber jetzt für richtige Gedankenstürme sorgten. Grundsätzlich ist das genau das Richtige für diese Webseite. Aber das Wichtigste sieht man gar nicht. Erlebnisse, bei denn keine Kamera dabei war und Menschen, die man schon lange nicht gesehen hat und auch nicht mehr treffen will, weil sie es überhaupt nicht wert sind. Mittelpunkt war vor Allem die Wagnerstadt Bayreuth, der das ganze erste Kapitel auf dieser Webseite gewidmet ist. Die Stadt selbst hat zwar schöne Winkel, aber der Magnet waren immer die zehn Wunderwerke von Richard Wagner, die ich schon als Sechzehnjähriger entdeckte und deren Magie, der starke Zauber, nie nachgelassen hat. Die stärksten Eindrücke hinterließen die Spuren des bedeutenden Komponisten vor Ort, die zum Teil verschwunden sind. Aber nicht die damit verbundenen Eindrücke der ganzen Stadt.

Abschied davon habe ich genommen, vor einem Jahr. Auch von der kleinen Stadt in der Nähe, die immer der Ausgangspunkt war, für eindrucksvolle Reisen und starke Gedanken.

Über den letzten Tag in Bayreuth, für immer, habe ich am 25.4.2019 einen Artikel geschrieben:

Bayreuths unsichtbare Weltuhr | Der königsblaue See (mind-panorama.de)

Am 6.7.2019 habe ich etwas Anderes geschrieben: „Kleine Orte gibt es auf der ganzen Welt. Sie haben nur dann eine persönliche Bedeutung, wenn damit wichtige Erfahrungen verbunden sind. Der Ort liegt auf der Strecke zwischen München und Berlin direkt an der Autobahn, und Viele kennen ihn nur vom Vorbeifahren. Seit dreißig Jahren bin ich dort gewesen, oft mehrmals im Jahr. Viele Ausflüge durch die ganze Region haben dort begonnen.“  Hier kann man den vollständigen Text lesen:

Die geschlossene Schatzkammer, am Frankenwald | Der königsblaue See (mind-panorama.de)

Ein Weltuntergang war dieser Abschied nicht, Anfang Juli 2019. Er war notwendig und es gibt daran überhaupt Nichts zu bedauern. Aber das Schicksal hat noch ganz andere Dimensionen, von denen die ganze Menschheit zur Zeit betroffen ist: Ende März 2020, begann in der Realität eine unerwartete Welt-Katastrophe, die auch noch das kommende Weihnachtsfest verhageln wird. Die Bayreuther Festspiele fanden in diesem Sommer überhaupt nicht mehr statt. Viele andere Gemeinschafts-Treffpunkte sind geschlossen, auch die Lokale. Mittlerweile ist vielen Menschen sogar die Freude am Herumreisen vergangen, und sie dürfen es auch nicht. Ein apokalyptisches Warn-Zeichen. Ganz oben auf dieser Seite, findet man dazu das Kapitel „Die Johannes-Apokalypse“, mit bisher 21 Beiträgen.

Die gerade erwähnten, letzten drei Tage in Oberfranken, im Sommer 2019, wurden leider auch durch unangenehme Auftritte von Ortsfremden gestört. Sie werden sich freuen, dass ich dort nicht mehr hinfahre. Aber die Stadt selbst, an sich, ist nur eine der sehr vielen Kleinstädte dort. Ich vermisse sie nicht. Viel wichtiger sind die unbezahlbaren Erinnerungen, die eine gewaltige Farbpalette enthalten. Der Dichter Jean Paul lebte auch dort. Zwei Sätze von ihm sind, ganz persönlich die wichtigsten: „Bayreuth ist eine schöne Stadt. Wenn nur die Bewohner nicht wären.“ „Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.“ So pauschal stimmt das natürlich nicht. Die Menschen dort sind genauso wie überall.

Aber die Erinnerung hat ganz eigene Schwerpunkte. Die Werke von Richard Wagner sind der einsame, unübertroffene Höhepunkt der großen Musik. Nur wegen ihm ist sein Wohnort die musikalische Hauptstadt der Welt, sonst überhaupt nicht. Ganz rechts, in der Themen-Übersicht, sieht man, dass hier schon weit über siebzig Artikel die Überschrift tragen, „Bayreuths unsichtbare Weltuhr“. Gemeint ist damit, dass man dort Zeichen entdecken kann, die symbolisch stark aufgeladen sind und eine universale, kosmische Bedeutung haben. Das Thema habe ich hier immer wieder vertieft, aber die Stadt selbst spielt dabei überhaupt keine Rolle mehr. Die Gedankenarbeit will ich dort auch nicht mehr erleben.

„Im Abendrot“ ist ein wunderbares Gedicht des Romantikers Joseph von Eichendorff. Es ist das letzte der „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss. Sein großes Orchester schwelgt dazu in herrlichen Melodien. Der Text: „Wir sind durch Not und Freude gegangen Hand in Hand. Vom Wandern müde, ruhen wir beide nun, über dem stillen Land. Ringsum sich die Täler neigen. Es dunkelt schon die Luft. Zwei Lerchen nur noch steigen, nachträumend in den Duft. Tritt her und lass sie schwirren. Bald ist es Schlafenszeit, dass wir uns nicht verirren, in dieser Einsamkeit. O weiter, stiller Friede! So tief im Abendrot. Wie sind wir wandermüde. Ist das etwa der Tod?“

Unübertrefflich sang das 1973 die unvergessene Anneliese Rothenberger:

https://www.youtube.com/watch?v=n77jQCrjA6M

.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.