Im Prater blühn wieder die Bäume

29.7.2020. Den Titel des bekannten Prater-Lieds von Robert Stolz liest man auf einem Gedenkstein, nicht weit vom Haupteingang zum Wiener Vergnügungspark. Der Stein mit dem Frühlingslied ist aus hartem Granit. Da beißt Keiner hinein, hat aber damit schon einen Vorgeschmack von der wetterfesten Gemütlichkeit der Stadtbewohner. Ab 1995 habe ich zehn Jahre lang immer wieder die Stadt besucht. Die Sommer sind besonders heiß, weil es in der östlichen flachen Tiefebene des Balkan keine hohen Berge gibt, die Hitzewellen bremsen. Da ist man über jedes Wirtshaus froh, wenn es nur eine Klimaanlage hat. Im Winter ist es besonders kalt. Da hilft ein Gühwein in den Spelunken am Spittelberg, wo sogar der spätere Kaiser Franz II. anonym auftauchte, weil er den lockeren Lebenswandel seiner Untertanen genau studieren wollte. Doch die Gäste haben wohl an seiner vornehmen Sprache und seinem guten Benehmen gleich die Maskerade durchschaut. Dann ist er achtkantig rausgeflogen, vielleicht auch noch mit der Begleitmusik von ordinären Sprüchen. Beschwert hat es sich bei Niemandem. Denn dann hätte es seine strenge Mutter erfahren, die allseits beliebte Kaiserin Maria Theresia.

Im Weinort Grinzing gibt es im Winter keinen Massentourismus. Auch beim Besuch des Sommerschlosses Schönbrunn muss man nicht stundenlang Schlange stehen. Die weitläufige Stadt hat viele Gesichter, aber nicht nur freundliche. Die Pferdekutscher („Fiaker“) sind angesichts ihrer nervenden Kundschaft nicht immer mit Gesang unterwegs. Aber im „Fiakerlied“ heißt es „Und auf meinem Grabstein, da soll stehen: Sein Stolz ist, er war halt ein echtes Wiener Kind.“

So gemütlich klang das nicht bei anderen einheimischen Liedermachern wie André Heller oder Helmut Qualtinger, die oft eine rechte Wut im Bauch an ihrern zahlenden Zuhörern ausließen. Andere sangen gern, „Der Tod, das muss ein Wiener sein.“ Wer zu Weihnachten gern die bunten Sissi-Märchenfilme mit Rom Schneider anschaut, weiß vielleicht nicht, dass ihr Ehemann, Kaiser Franz Josef II., manchmal sagte, „Mein Reich ist das einzige, in dem die Krise nicht untergeht.“ Er unterschrieb 1914 die formelle Kriedserklärung zum Beginn des Ersten Weltkriegs, nach der Ermordung seines Sohnes Franz Ferdinand im bosnischen Sarajewo. Nach dem Kriegsende 1918 gab es überhaupt keinen habsburgischen Herrscher mehr. Auch das deutsche Kaiserreich brach zusammen und wurde für fünfzehn Jahre durch die chaotische Weimarer Republik ersetzt. In Russland übernahmen Kommunisten die Macht, verhafteten und erschossen Zar Nikolaus II.

In Wien gab es kaum sichtbare Kriegsschäden. Die Adelspaläste, schneeweißen Villen, die Prachtgebäude an der Ringstraße sind noch da. Auch der gemütliche Volksgarten an der Kaiserburg. Der Stadtpark mit dem goldenen Denkmal von Walzerkönig Johann Strauß, der auch Goldbesitzer und Weltreisende in die Luxushotels lockte. Dort kann man auf der Sommerterrasse des Kursalons Hübner einen sehr teuren Kaffee trinken, während in einem engen Musikpavillon junge Musikstudenten in schwarzer Abendkleidung stundenlang schwungvolle Musik der Strauß-Familie fiedeln und dabei von der Hitze sichtbar erschöpft sind.

Das ganze Wien findet man in keinem der vielen Bücher oder Filme. Es existiert nur im eigenen Kopf, also in den Erfahrungen und der Phantasie, die sich gegenseitig anregen und steigern. Das Ergebnis sind staubtrockene Wüsten, glitschige Sümpfe, der Blick auf weite Ozeane, silberne Flüsse im Mondlicht. Dazu braucht man viele Jahre, die nicht auf Fliegenden Teppichen verträumt werden, sich nicht in verbissene Karriere-Erfplge hineinsteigern. Als Kind lag ich oft im hohen Gras des elterlichen Gartens, schaute zu den schweren weißen Sommerwolken hinauf und wäre dort gern mitgeflogen. Aber die überlangen Schuljahre lenkten ab und die anschließende berufliche Zeit mit Menschen, die man sich nicht selbst ausgesucht hatte, auch nicht deren Gewohnheiten und Lebensziele. An einer Geisterbahn las man, „Neue Gespenster eingetroffen.“ Sie förderten Spannungen und nutzlose Kriege mit üblen Figuren, deren Gewohnheiten und Lebensziele in der Erzeugung und Planung von Unglück ihre nutzlos Kraft ausbauten. Gepaart mit Dummheit und den biblischen Todsünden, nicht immer erfolgreich, aber immer schneller erkennbar.

Ferdinand Raimund schrieb das Wiener „Hobellied“. Vor dem Volkstheater findet man den Text auf der Speisenkarte eines nahen Cafés. Hier singt das Marlene Dietrich:

https://www.youtube.com/watch?v=hxN-YqguUR8

.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.