In der Affenhitze zum Schaulaufen – Tannhäuser 2019

27.7.2019. Vorgestern eroffneten die Bayeuther Festspiele mit „Tannhäuser“. Bei 42 Grad war es der bisher heißeste Tage des Jahres. Drinnen kann es dann bis zu fünfzig Grad werden. Seit Jahren fordere ich den Einbau einer modernen Klimaanlage. Festspielleiterin Katharina Wagner erklärte jetzt wieder im Interview, man fürchte um die herausragende Akustik. Das ist falsch. Man kann hinter jeder Wandverkleidung eine wirksame Raumkühlung einbauen, optisch unsichtbar. Seit vielen Hitzesommern funktionieren Klimaanlagen ganz geräuschlos. Sie stören also die künstlerische Darbietung überhaupt nicht. Gleichzeitig könnte man die engen Sitze im Zuschauerraum endlich verbreitern, in einer optischen Gestaltung – Holzmaterial mit einem dünnen Stoffpolster – die der jetzigen Ausstattung ähnlich und deshalb nicht gewöhnungsbedürftig ist. Akustisch hat das überhaupt keine Auswirkungen, denn wenn das Publikum erst einmal sitzt, beeinflusst die Garderobe den Klang überhaupt nicht mehr. Zeit genug für den behutsamen Umbau ist nach Saison-Ende, also ab September bis zum Probenbeginn im nächsten Frühjahr. Das ist fast ein Jahr. Die Pseudo-Argumente dagegen sind uralt und technisch völlig überholt. Die auch medizinisch für ältere Besucher notwendige Moodernisierung wird jetzt bald geschehen, denn die heutige Affenhitze werden sich viele künftige Besucher nicht mehr gefallen lassen.

Keine Überraschung wäre es allerdings, wenn meine allseits bekannte Idee mal wieder nur heimlich und stillschweigend verwirklicht wird, obwohl alle Verantwortlichen dabei bisher völlig unbeweglich waren wie Granit. Doch bald werden – ganz plötzlich – „einstimmige Beschlüsse“ im Stadtrat verkündet werden, wo man genau weiß, dass nicht nur dieses Urheberrecht meine Sache ist und dass die Details jahrelang von mir begründet und genau erläutert wurden. Das marktübliche Beratungshonorar für solche dringend notwendigen Modernisierungen liegt übrigens im oberen fünfstelligen Bereich.

Die Fernsehnachrichten und die Presse brachten bereits vorgestern die neuen Bilder vom Schaulaufen der Prominenz. Bundeskanzlerin, Ministerpräsident, Oberbürgermeisterin und ein paar bekannte Fernsehgesichter zeigten sich fünf Minuten auf dem Roten Teppich und mussten dafür eine Oper ertragen, die mit zwei Pausen fünf Stunden dauert. Bei maximalen Temperaturen, und die Damen mussten sehen, wie sie mit ihren riesigen Luxus-Kleidern in den engen Sitzen die lange Zeit bis zur Pause durchhalten.

Vormittags um zehn Uhr findet am Premierentag das „Grabsingen“ statt. Einzelne Sänger und Orchestermitglieder lassen ein paar feierliche Höhepunkte aus den Werken direkt an der Grabplatte im Wahnfried-Garten erschallen. Der Eintritt ist kostenlos. Weit entfernt, saß ich zu dieser Zeit in einem schattigen Straßencafé beim Zeitungslesen und habe keinen Augenblick bedauert, nicht dabei zu sein.

Nachmittags das Gleiche. Als um 16.00 Uhr die Aufführung begann, gab es wegen der Sommerferien überall in der Großstadt freie schattige Plätze, Gespräche mit Zufallsbegegnungen und deren Gedankenwelt. Ein Ehepaar aus dem fränkischen Bamberg plauderte über die prachtvolle mittelalterliche Innenstadt ihres Wohnorts und erzählte nebenbei, dass sie gelegentlich die Festspiele besuchten, weil sich im Bekanntenpreis herumgesprochen hat, dass es für viele Vorstellungen reichlich unverkaufte Karten gibt. Man braucht sich nur vormittags in den Zug setzen und einfach losfahren. Bis zum Tod Wolfgang Wagners im Jahr 2010 konnte die Erfüllung der schriftlichen Kartenbestellungen Jahre lang dauern. Die Ursachen dafür kann Jeder leicht begreifen. Sie stehen in den ersten drei Absätzen dieses Artikels.

Wer die neue Tannhäuser-Inszenierung sehen will, kann dabei auch zu Hause bleiben. Heute ab 20.15 Uhr überträgt der Fernsehsender 3Sat die vollständige Aufführung. Das ist tatsächlich ein unbezahlbarer Fortschritt. Ich freue mich darauf, wenn keine anderen Termine dazwischen kommen.

Nach der Übertragung: Die Inszenierung war originell und sehenswert. Zur düster-tragischen Musik passte sie, weil die meisten Menschen äußerlich ein ruhiges oder oder manchmal auch lustiges Gesicht in der Realität zeigen, während in ihrem tiefsten Inneren sich dramatische Bewegungen abspielen. Musikalisch eröffnete Dirigent Valery Gergiev mit der Ouvertüre auf der Höhe seiner Meisterschaft. Anschließend wirkte der Klang gelegentlich unausgeglichen oder sogar matt. Das kann an der Hitze liegen. Oder ihm hat die Regie nicht gefallen, weil in Russland ein paar Themen gar nicht für Begeisterung sorgen. Stephen Gould habe ich Jahr 2008 als zuverlässigen Siegfried erlebt. Jeder wird älter, und auch ein Sänger kann darüber nachdenken, dass eine extreme Partie wie Tannhäuser eher einem Marathonlauf vergleichbar ist, den in frortgeschr4ittenem Alter keiner mehr schafft. Elena Zhidkova sang Venus mit prächtiger Stimme. Lise Davidson gab als Elisabeth einen Vorgeschmack auf zukünftige hochdramatische Auftritte. Markus Eiches Wolfram hatte nicht nur eine überzeugende, volltönende Gestaltung zu bieten, sondern sang auch textverständlich.

Die Inszenierung kombinierte das Bühnengeschehen mit hintergrundfüllenden Videofilmen, Luftaufnahmen und Landschaftspanoramen, was hier auch mit der Musik harmonierte. Tannhäuser kutschiert in einem Theaterlastwagen inclusive Plüsch-Garderobe durch blühende Sommerlandschaften. An seiner Seite ein farbiger Transvestit mit schwarzem Vollbart (Le Gateau Cocolat) mit einem gelben Samtrock, der an Walt Disneys Dornröschenfilm denken lässt und daran, dass der Grüne Hügel endlich aus hundertjährigem Märchenschlaf erwachen soll. Dazu ein Liliputaner mit Blechtrommel und Wagnermütze. Beide spielten stumm und waren auch das einzige Personal im Venusberg, der diesmal nicht als Bordell ausgestattet wurde, sondern mit einem fränkischen Fachwerkhaus (Lebkuchenhaus) eine romantische Stimmung verbreitete. Zu Beginn des zweiten Akts sang Elisabeth die Hallenarie in einem wunderschönen mittelalterlichen Festgewand. Tannhäuser begrüßte sie, jetzt ganz in Künstlerschwarz gekleidet, so wie auch es die järlichen Berufsanzüge der Regisseure bei den Filmtagen in Hof zeigen, mit dem Motto: „Bei uns zeigen wir Filme, die Sie niemals im Kino sehen werden.“ Wie wahr !

Beim turbulenten Sängerkrieg am Ende des zweiten Aktes ruft die Festspielleiterin Katharina Wagner die Polizei. Noch aktueller wäre es, wenn sie aus dem Nachbarland Thüringen die früheren Stasi-Mitarbeiter alarmiert. Sie könnten im Schatten von halb geöffneten Geheimtüren die wütenden Sänger mit Smartphones unauffällig fotografieren und filmen. Denn die Demonstration der freien Meinungsäußerung war von der Parteileitung nicht genehmigt. Das darf sich nicht mehr wiederholen!

Nach der Hallenarie habe ich abgeschaltet, nicht aus Langeweile, aber wenn man jahrzehntelang Opernaufführungen gesehen hat, im Theater oder auf DVD, dann braucht man überkhaupt keine Neuinszenierungen mehr. Dem vorbildklichen Regisseur Tobias Kratzer darf man viel Erfolg für seine Zukunft wünschen. Im Pausengespräch kommentierte er in einem großen leeren Probengebäude seine Arbeit, lachte und quasselte dabei, ohne Luft zu holen. Wichtig ist jedoch nur das Ergebnis und dazu – herzlichen Glückwnsch!

Zur Einstimmung in das Werk passt die berühmte Tannhäuser-Ouvertüre. Hier dirigiert Christian Thielemann:

https://www.youtube.com/watch?v=KTM7E4-DN0o

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