Godunow in Münster, Juni 1987

19.1.2022. Die Jahre 1985 bis 1987 waren extrem. Alles war eigentlich in Ordnung, auch eine funktionierende Partnerschaft seit Februar 1979. Trotzdem schlichen sich Gewohnheiten ein, die Alles beschädigten, ganz unbemerkt. Zu viele Wiederholungen im Alltag, gleichzeitig verschwanden Gemeinsamkeiten. Mit 35 Jahren entdeckt man eigene Welten, die Musik war  dabei Geschmackssache, besetzte aber auch Lebenszeit. Und andere Themen tauchten auf. Im Februar 1985 war das ein 18jähriger, gutaussehender Rivale. Er arbeitete als Kellner in einem Feinschmecker-Restaurant, sonst interessierte ihn nicht viel, außer der freie Platz ins unserer Wohnung, der aber schon besetzt war. Dann folgten vierzehn Monate Heimlichkeiten, sehr unauffällig, bis im April 1986 alles herauskam. Dann herrschte Kleinkrieg, aber immer nur im Rahmen des Erlaubten. Im Juni 1986 gab es noch einen letzten Spanien-Urlaub, im August den ersten Besuch der Bayreuther Festspiele, ein Höhepunkt aus allen Blickrichtungen. Am 16.12.21 habe ich darüber berichtet:

https://luft.mind-panorama.de/?s=tristan+1986&x=18&y=4

Ab September ging wieder der Kleinkrieg weiter, ab Dezember versuchten die Parteien, miteinander auszukommen. Und Anfang Juni 1987 kam die endgültige Entscheidung, für ein ganz neues Leben in München. Bis zum 27.9.87 gab es noch viel Zeit, Alles zu klären und zu regeln. Das ging ganz entspannt, weil es keine offenen Probleme mehr gab. Dafür so viele Zufallsbekannte wie noch niemals vorher. Keine Sternschnuppen, sondern Fixsterne, die im Gedächtnis einen Stammplatz haben. Gerade wegen ihrer Unwiederholbarkeit, der Einmaligkeit der gemeinsamen Zeit.

Sie waren das Fundament für den Übergang. Die letzte Begegnung mit dieser Vergangenheit war im Juni 1900. Ich besuchte mit einem Münchner Bekannten ein Woche lang Westfalen. Dann starb meine Mutter, der letzte Verbindungspunkt zu alten Heimat. Nach der Beerdigung telefonierte ich mit Münster. Und mittags war plötzlich eine Stimme im Hauptbahnhof zu hören: „Das habe ich mir gedacht, dass du jetzt abreist.“ Ein einziges Mal war die Vergangenheit noch einmal da. Wir tranken am Prinzipalmarkt ein gemeinsames Bier. Gegenüber vom Stadttheater, wo wir viele Opern besucht hatten, gab es einmal noch ein Abendessen, ohne irgendein Problem zu wälzen, denn die waren Vergangenheit. Auf die kurze Bemerkung „Ich hätte wieder gern einen Freund“, sagte ich nur: „Mit uns ist es vorbei.“ Danach war auch dieses Thema beendet.

Auf dem Rückweg zum Zug saßen vor dem Stadtmuseum zwei Mitarbeiter des Stadttheaters, die an vielen Opernabenden mitwirkten. Zum Beispiel der Sänger der Titelrolle im „Boris Godunow“. Über ihn habe ich heute schon berichtet. „Weihnachtsüberraschung 1983“ :

https://luft.mind-panorama.de/weihnachtsueberraschung-1983/

Die beiden Mitarbeiter des Musiktheaters luden mich zu einem Weißbier ein, auch eine Gelegenheit für gemeinsame Erinnerungen. Von der privaten Trennung hatten sie noch gar nichts mitbekommen, es war ihnen auch egal. So wie die Vergangenheit zwar immer Gedanken auslöst, aber niemals den Alltag beherrschen darf.

Am Moskauer Bolshoi-Theater gab es 1978 eine exemplarische Aufführung des „Boris Godunow“, die keine Wünsche offen lässt:

https://www.youtube.com/watch?v=cfz7IJtzijs

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