26.4.2017. Das Spätwerk „Capriccio“ von Richard Strauss handelt von künstlichen Scheinproblemen, spielt mit oberflächlichen Diskussionen. Aber in der letzte Viertelstunde wird es auf einmal ernst. Vorher gab es nur ein endloses musikalisches Geplauder und Geschwätz zum Thema, ob in der Oper der Text oder die Musik wichtiger sind. Natürlich die Musik. Johann Sebastian Bach und andere Meister haben auf albernen, belanglosen Texten riesige Klang-Kathedralen errichtet. Franz Schubert hat auf den eher harmlosen, unbedarften Gedichten von Wilhelm Müller – „Die schöne Müllerin“, „Winterreise“ – Moumente des Klangs errichtet, für deren Deutung ein ganzes Menschenleben nicht ausreicht.
Die Phantasie wächst aus der Wirklichkeit. Wenn man sich unter die Alltagsmenschen begibt und auf hochnäsige Arroganz verzichtet, kommt es zu ganz besonderen Eindrücken. Es ist nicht einfach, daraus eine Auswahl zu treffen. Kürzlich habe ich mich für den Wirt eines beliebten Lokals eingesetzt, der von seinen Kollegen gemobbt und verleumdet wurde. Am nächsten Tag waren die Verursacher da und haben lautstark Ärger gemacht. Ein Getränk wurde mir entrissen. Dann geht man halt.
Doch das Rad der Zeit dreht sich weiter. Schon am nächstern Tag hatte sich das herumgesprochen. Der Eigentümer hat mir ein Getränk ausgegeben, als Anerkennung. Und vor zwei Stunden, vorhin ging die Diskussion weiter, in allen Tönen, mit allen Variationen des menschlichen Temperaments. Das kann man dämpfen, sogar Witze darüber machen. Eine weitere Eskalation wird vermieden, und unter den vorherigen Feinden gibt es sogar Zeichen der Sympathie.
Das ist möglich in allen Bereichen, in der Politik, der Wirtschaft. Überall. Aber es geschieht nicht. Warum? Auch das ist einfach zu beantworten. Die allmächtigen Herrscher der Welt sind nicht Macht und Geld, sondern die ewigen Gesetze, die nicht nur in den ältesten Schriften überliefert sind, sondern an jedem Tag erkennbar sind. Sie verlangen Respekt und Beachtung.
Dass in der Musik nicht die Texte entscheidend sind, sondern die Musik, erlebt man im eingangs erwähnten Spätwerk von Richard Strauss, „Capriccio“. Das Finale endet mit den Worten: „Kannst du mir raten, kannst du mir helfen, den Schluss zu finden – den Schluss der Oper?“ Dazu schallt eine überirdische, hymnische Musik, die auch diese überflüssige Frage beantwortet: Antwort ist die Macht der Musik und die unendlichen Möglichkeiten, sie zu deuten.
Hier hört man René Fleming in dieser Szene: