Der unveränderte Klangrausch

29.10.2021. Dass früher Alles besser war, stimmt schon deshalb nicht, weil die Technik vor hundert Jahren und das Internet erst vor dreißig Jahren zu einer Massenbewegung wurden, die das Alltagsleben stark verändert haben. Kürzlich bekam ich von einem Bekannten seine musikalischen Schätze zum Anschauen und Anhören. Er bevorzugt das italienische Fach und dessen aufgeladene Stimmen. Deshalb ist es logisch, meine langjährige Wagner-Begeisterung auch aus der Perspektive eines Zuschauers zu begründen, der schon seit vielen Jahren ganze Schränke voll mit Aufzeichnungen hat, aber dabei auch nicht vom Hundertsten ins Tausendste kommen will.

Der Gesang ist heute derart abgestürzt, dass man selbst die vielen guten Stimmen nur zurückhaltend erwähnt. Denn sie singen in den riesigen Musiktheatern meistens immer noch ohne Mikrofon. Die empfindlichen Stimmbänder können das übel nehmen, und mancher vielversprechende Name war nach zwei Jahren schon nicht mehr zu hören. Es war einfach zu viel. Und auch optisch zu anstrengend, wenn sportliche Turnübungen die zweite Hauptrolle spielten, griff man besser zu Studio-Aufnahmen. Selbst alte Aufzeichnungen können heute digital hervorragend restauriert werden, ohne Störgeräusche und das Verschlucken der Feinheiten.

Jetzt könnte man Hunderte von Namen aufzählen, die Niemanden mehr interessieren. Also reicht es, die wichtigsten Messpunkte zu begründen und dafür ein einziges, hervorragendes Beispiel zu empfehlen. Beim Wagner-Gesang wird viel Kraft gebraucht, vor Allem, wenn das riesige Orchester auf volle Lautstärke geht. Bei Aufzeichnungen kann man das ausgleichen, aber unbestechlich bleibt die Qualität. Wer nicht gut singen kann, schafft auch die leisesten Passagen nicht. Den Text versteht man sowieso nur, wenn man ihn vorher auswendig gelernt hat. Das lohnt sich, aber viele Besucher wissen nicht einmal, was in der dramatischen Handlung abläuft. Mit der optischen Symbolsprache kann man das deutlicher verstehen, aber die kennt kaum noch Jemand.

Wagner hat derart viele Feinheiten zu bieten, dass man ihn nicht mit Fußtritten behandeln darf. Im Kapitel „Die Deutung der Symbole“ habe ich dazu 129 eigene Artikel geschrieben:

https://luft.mind-panorama.de/?s=deutung+der+symbole&x=15&y=11

Und jetzt zum Beispiel: Der beste Wagnersänger aller Zeit war Lauritz Melchior (1890 -1973). Gestern habe ich bereits einen Kommentar zu seiner Person geschrieben:

https://luft.mind-panorama.de/lauritz-melchior/

Melchior hat sämtliche großen Rollen seines Fachs gesungen. Sie wurden in New York ungekürzt aufgezeichnet und existieren als Radio-Mitschnitte. Bei anderen stört eine laute Stimme. Bei ihm war das ein Natur-Ereignis, und er konnte es gestalten wie ein Natur-Element, das einfach auftritt und wirkt. 1935 sang er in Wien den vollständigen ersten Akt der „Walküre“, mit seiner gleichrangigen Partnerin Lotte Lehmann (14.09 Minuten) . „Winterstürme wichen dem Wonnemond“ :

https://www.youtube.com/watch?v=21wsa21Tki0

Was für die Sänger gilt, stimmt auch bei den Dirigenten. Wenn eine Wagner-Oper stundenlang dauert, kann das sehr langweilig sein. Deshalb mögen ihn die Anhänger von Verdi und Puccini nicht besonders, weil der Belcanto-Gesang vor Allem eine strahlende Melodie-Stimme verlangt. Wagner hat da viel mehr zu bieten, in der Tiefe der Gedanken und in der Höhe der Wahrnehmungsfähigkeit.

Beweis dafür sind die Orchester-Sücke aus dem „Ring des Nibelungen“, wenn Leopold Stokowski sie leitet (46 Minuten) :

https://www.youtube.com/watch?v=WnlfNhfVrgI

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