4.9.2020. Richard Wagner mochte seine italienischen Kollegen nicht besonders. Pauschal hielt er sie für oberflächlich, gefällig, wie Hofkomponisten an Herrscherpalästen. Besonders auffällig benahm er sich bei Giuseppe Verdi, seinem Zeitgenossen und wohl wichtigsten Opernschöpfer südlich der Alpen. Er wollte ihn nie treffen. Nach einem Gespräch mit Ehefrau Cosima über das Thema notierte sie in ihrem Tagebuch: „Verdi – das soll Musik sein?“ Der Angegriffene schrieb anlässlich von Wagners Tod: „Wagner e morto. Triste, triste, triste!“ (Traurig, traurig, traurig!) Wagner schätzte allerdings den früh verstorbenen Vincenzo Bellini (1801 – 1835) : „Bei dem habe ich gelernt, wie man eine Melodie schreibt.“ Persönlich traf er sogar Giacchino Rossini (1792 – 1868), der vor Allem durch turbulente Komödien bekannt wurde („Der Barbier von Sevilla“). Den Bericht über die einmalige gemeinsame Begegnung schrieb er humorvoll, aber nicht abfällig, z.B. „Rossini kann nur komponieren, wenn er vorher drei halbe Hähnchen gegegessen hat.“
Wagner flüchtete jedes Jahr aus dem winterlich kalten Bayern über die Alpen. Am 13. Februar 1883 starb er in Venedig, im Palazzo Vendramin. Kurz vorher hatte er sich mit Cosima über den Brief einer Opernsängerin gestritten, die ihn besuchen wollte. Seine Kinder waren Augenzeugen im Erdgeschoss, als ein Diener meldete, dass es dem Meister schlecht gehe. Auf einer Couch im ersten Stock, mit direktem Blick auf den Canale Grande, starb er mt siebzig Jahren in den Armen seiner Frau. Das sprach sich blitzschnell herum. Vor dem Fenster fuhren Gondeln vor, und das zufällig in der Stadt anwesende „Nibelungenorchester Angelo Neumann“ spielte respektvoll Trauermusik des Verstorbenen. Auf der Rückfahrt in seine Heimat saßen im Sonderzug nur Cosima und die Kinder, mit dem Sarg. An jedem größeren Bahnhof gab es einen kurzen Halt. Auch dabei spielten draußen herbei geeilte Orchester den Trauermarsch aus der „Götterdämmerung“: Siegfrieds Tod. Dieser Held war eine der zentralen Figuren im vierteiligen „Nibelungenring“. Im vierteiligen Hauptwerk bei der Eröffnung der Festspiele 1876.
In Italien besuchte Wagner viele Orte. Wichtig war für ihn die Entdeckung des wild wuchernden Gartens der Villa Rufolo bei Neapel. „Klingsors Zaubergarten“ nannte er ihn. Klingsor ist der finstere Satan im Schlusswerk „Parsifal“. Der böse Magier (Zauberer) lockt in seinen Wundergarten ahnungslose Besucher. Dort werden sie von tanzenden Blumenmädchen und der teuflischen Kundry erwartet. Im Schatten lauert Klingsor auf den passenden Augenblick, die Fremden zu ermorden. Er besitzt den geraubten Heiligen Speer der Gralsritter, die wegen des Diebstahls immer schwächer und kraftloser werden, auch bei ihrer Arbeit im Tempel. Doch als Klingsor den gestohlenen Speer gegen den ahnungslosen Parsifal schleudert, fängt der ihn mit einer Hand auf und schlägt damit ein abwehrendes Kreuz-Zeichen: „Mit diesem Zeichen banne ich deinen Zauber!“ Sekundenschnell verdorrt der ganze Wundergarten, und seine tückischen Bewohner verschwinden im Nichts der ewigen Verdammnis.
Die Uraufführung seines Schluss-Steins, der sein gesamtes Gedankengebäude abschloss, sein „Weltabschiedswerk“, leitete Wagner persönlich und dirigierte sogar selbst de letzten fünfzehn Minuten.
Das „Bühnenweihfestspiel“ Parsifal ist das letzte seiner zehn Hauptwerke, die einen einzigen roten Faden haben, der sicher durh die riesigen, labyrinthisch verschachtelten Irrwege der Handlungen in das Zentrum führt: Das Licht des Gralskelches, das auch hier wieder die höchste Stufe der mystischen Erkenntnis bedeutet: Die Erleuchtung. Die völlige Verwandlung des Inneren, des Denkens und der Erfahrungen als höchste Stufe des menschlichen Bewusstsein. Dieses Thema gab es beim handfesten Realisten Giuseppe Verdi nur selten, der selbst die Welt der altägyptischen Pharaonen in seinem Spätwerk „Aida“ mehr als spannende Abenteuergeschichte mit den lauten Fanfaren des kriegerischen „Triumphmarsches“ zum optischen und musikalischen Spektakel machte, auch wenn er dabei stellenweise die innige Klangsprache von Wagners „Lohengrin“ verwendete. Das hintergründige Frühwerk vom Gralsritter ist voll schwelgender Melodien und deshalb auch in Italien sehr beliebt.
Die beste Sängerin im letzten Jahrhundert, Maria Callas, sang in ihren Anfangsjahren die großen Wagner-Rollen sogar in Venedig, auf italienisch, aber später niemals mehr. Vom Parsifal gibt es eine komplette Studio-Aufzeichnung. Dort singt sie die Zauberin Kundry seltsam gleichgültig, teilnahmslos. Aber auf ihrer einzigen Aufnahme von „Isoldes Liebestod“ beweist sie, wie zurückhaltend, stark und geheimnisvoll sie sein konnte. Hier kann man das hören:
https://www.youtube.com/watch?v=XiYLDZP_4QA
.