Das versteckte KöPi

17.9.2021. Auf dem Foto sieht man den herbstlichen Buddenturm in Münster, ganz rechts. Das Bild ist schon über vierzig Jahre alt und verschwommen, aber so ist das mit der Erinnerung: Die Bilder verblassen auch im Gedächtnis, trotzdem haben sie einen eigenen Wert, im Zusammenhang, als Einzelteile eines größeren Bildes:

   Der Buddenturm liegt in einem kleinen Park, mitten in der Altstadt. Tagsüber sitzen dort Spaziergänger auf den Bänken. Abends geht es rund. Auf der anderen Straßenseite sind viele Studentenlokale. Links und rechts treffen sich andere Nachtschwärmer. Auch im kalten Winter, bei Schnee und Eis, strömt ein pausenloser Fluss vorbei, von Menschen mit viel Zeit. Morgens geht das schon los, beim Kaffeetrinken und Zeitungslesen. Nach Mitternacht sind Viele immer noch nicht müde. Dann schauen sie, wer schaut. Manchmal bis zum Frühstück. Oder für den Rest des Lebens. Das klappt, weil viele das gleiche Ziel haben. Die Vorsicht vor tückischem Glatteis kann man trainieren  und einen Bogen um die schleichenden Figuren mit den Raubtier-Augen machen, die nur Ärger bringen. Das spricht sich auch schnell herum oder man sieht die typischen Alarmsignale. Der alte Buddenturm steht direkt an der Promenade, einer alten Linden-Allee, die kreisförmig die gesamte Altstadt mit allen Sehenswürdigkeiten umschließt. Ein Auflugsziel für das ganze Münsterland.

Münster hat genau so viele Schattenseiten wie andere Städte. Aber das überschaubare Format erleichtert die Orientierung. Wie bei einer Suchmaschine funktionieren die zahlreichen Kirchtürme, und es heißt, „Entweder regnet es in Münster oder es läuten die Kirchenglocken.“ Über meine Zeit in „Münster 1971 – 1987“ gibt es hier schon über 70 Artikel:

https://luft.mind-panorama.de/category/der-koenigsblaue-see/3c-lebenserfahrungen-1971-1987/

Wer sich einmal richtig gruseln will. lese den Bericht vom 11.9.21 über die Wiedertäufer. „Drei Käfige am Prinzipalmarkt“. Zitat: „Drinnen steckten die Überreste der Wiedertäufer, deren Anführer am 22.1.1536 vor dem nahen Rathaus hingerichtet wurden. Sie hatten den Bischof Franz von Waldeck gewaltsam vertrieben, aber er besiegte sie und ließ sie in Stücke reißen.“

https://luft.mind-panorama.de/prinzipalmarkt/  

Das ist schon 500 Jahre her, und die Stadt macht heute eine friedlichen, etwas langweiligen Eindruck, wenn man dort 17 Jahre verbracht hat. Aber Weltstädte wie München werden auch langweilig, wenn sich die Bewohner immer ähnlicher werden, äußerlich und innerlich.

Langeweile ist übrigens ein persönliches Problem. Wer stundenlang in Bistros bunte Cocktails schlürft, wird dabei so zugedröhnt, dass der Verstand verdampft und zum offen Fenster hinaus sich sogar restlos auflöst. Für Neulinge gehört das dazu, und die Erinnerungen daran sind unbezahlbar. Aber man muss sie nicht grenzenlos wiederholen.

Gegenüber vom Buddenturm gab es das „KöPi“, abgekürztes Markenzeichen einer königlich-Dortmunder Pils-Brauerei. In vornehmer Lage, in direkter Nachbarschaft zu berühmten Sehenswürdigkeiten, aber unbekannt für die Touristen, in einer schmalen Seitengasse. Dort war ich oft mit alten Bekannten oder lernte neue kennen. In den letzten Wochen vor dem Umzug nach München prägten sich solche Bilder besonders stark ein. Gesichter, die jahrelang verschwunden waren, tauchten wieder auf, und der Abschied fiel dann noch schwerer. Aber festklebende Klammeraffen kommen nicht weiter, sie sind eine Zumutung.

Dort trank ich meistens Bier. Es war herber und etwas bitterer als die Münchner Traditionsmarken, aber heute vermisse ich manchmal den Geschmack. Weil er  fest verbunden ist mit Treffen, die sich, in dieser Form,  niemals mehr wiederholten.

Es ist wie eine alte Melodie, die immer noch Bewegung auslöst. So wie die „Melodie der Nacht“ über die Einsamkeit in der Großstadt. Erich Käster notierte, „Am schlimmsten ist die Einsamkeit zu Zweit.“ Zu diesem Thema schrieb ich am 10,8,21:“Erich Kästner hatte von 1939 – 1945 Schreibverbot, aber schon nach dem Krieg wurde er bekannt mit Kinderbüchern, die ich damals auch gern gelesen habe. Er kannte an seinem letzten Wohnort München viele Leute und saß gern im alten Schwabinger Wirtshaus „Leopold“. Allein war er also nur, wenn er das selbst wollte. Einsamkeit ist etwas ganz Anderes: Die Abwesenheit eines passenden Klangs, einer Lieblingsmelodie oder von Lebensqualität.“

https://luft.mind-panorama.de/einsamkeit-zu-zweit-2/ 

Die „Melodie der Nacht“ sang Freddy Quinn  1960. Damals passte das genau. Heute sieht die Welt ganz anders aus:

https://www.youtube.com/watch?v=jbLzIYwcl3Q

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