Der Lack verrostet

24.8.2021. Als deutsches Urlaubsziel war Bayern immer unschlagbar. Schon als Kind überraschten  fast täglich neue Schlagzeilen. Berühmte Leute spazierten durch die Straßen von München, die Zeitungsfotos machten sie ganz groß und ganz nahe. Jubelnde Begleitberichte überschlugen sich in Superlativen. Doch einen Umzug konnten sich die wenigsten leisten, und von Lindau am Bodensee bis Hamburg an der Elbe blieben Millionen einfach da, wo sie schon waren. Heute klingt das sehr vernünftig, denn der Lack ist längst ab. Ein alter Freund, mittlerweile schon im Ruhestand, sagte kürzlich das Gleiche: „Der Lack ist ab.“ Damit meinte er aber sich selbst, sein Äußeres, sein begrenztes Bankkonto, aber auch die Lebensqualität. Widersprechen kann man dabei nicht. Als ich vor dreißig Jahren in die bewunderte Traumstadt kam, stimmten viele Märchen noch. Aber es gab keine Könige und Prinzessinnen mehr. Schon seit dem Beginn des letzten Jahrhunderts. Die Zeiten ändern sich, die Uhren kann man nicht anhalten, und wie schlecht und gemein es schon damals aussehen konnte, kann man in dem Artikel vom 10.8.21 nachlesen: „Märchenkaiser vor hundert Jahren“ :

https://luft.mind-panorama.de/maerchenkaiser-vor-hundert-jahren/ 

Die alten Sehenswürdigkeiten stehen immer noch, die alten Paläste und Biergärten, aber die Bewertung hat ein paar scharfe Kurven geschlagen. Vor allem wegen der Leute. „Die Menschen sind gut, aber die Leute sind schlecht.“ (Karl Valentin, 1882 – 1948). Über seine Sprüche konnte man lachen, aber er ist auch schon lange dahin. Über seine letzten Lebenjahre gibt es nicht viel Lustiges zu erzählen. Valentin verarmte immer mehr. Der Alfons Schweiggert hat darüber ein erschütternde Buch geschrieben: „Valentins Stummzeit 1941 – 1948.“  Valentins Pech war vor Allem: Sein  altes Publikum hatte  ganz andere Sorgen, weil  München beim Kriegsende  in Trümmern lag und wieder aufgebaut werden musste.

Heute kann davon keine Rede sein. In den Gedanken ist München immer noch unvergleichlich, in der Realität aber nicht: Anschwellende Menschenmassen aus allen Himmelsrichtungen, schon seit den Olympischen Spielen 1972. Bequeme  Freizeitangebote für Millionen, deren Inhalt  immer ähnlicher wird. Diese Mischung lässt sich noch erweitern, am Endergebnis ändert sich nicht viel.

Unsicherheit und Orientierungslosigkeit überwinden geräuschlos alle Mauern. Brechen die schwankenden Türme  zusammen, wird trotzdem gelacht. Aber nur, weil die anderen Betroffenen auch lachen. Für die Zuschauer ist das ein Trauerspiel, deshalb gibt es hier immer wieder Hinweise auf andere Lösungen. Leider ist das große Schweigen bei den Hauptsachen trotzdem nicht verstummt, dafür gibt es mehr Auftritte und Belästigungen, die Niemand bestellt hat.

Hoffnung kann ein Wundermittel sein, wenn die Richtigen das selbst anwenden. Dann hilft es tatsächlich. Sonst nicht. Der römische Kaiser Marc Aurel (121 – 180 nach Chr.) schrieb in seinen „Selbstbetrachtungen“: „Lebe jeden Tag so, als ob es dein letzter wäre.“ Er war kein Feigling und auch nicht lebensmüde, aber unglücklich war er bestimmt nicht. Er wusste auch: „Morgens bin ich müde und habe keine Lust, aufzustehen. Aber dann bleiben alle Pflichten auch liegen, die ich jeden Tag erfüllen muss.“ Wenn man das nur liest, hat man es schnell vergessen. Wenn man danach lebt, vergisst man es nie.

Am 6.8.21 schrieb ich über die „schmelzenden Uhren“: „Albert Einstein entdeckte, dass die Zeit tatsächlich keine feste Größe ist, obwohl sie mit Messinstrumenten genau notiert werden kann. Sie ist abhängig von Masse und Geschwindigkeit. Eine andere Perspektive der Zeit findet man im „Rosenkavalier“. Im „Uhrenmonolog“ heißt es: „Die Zeit, die ist ein sonderbar‘ Ding. Wenn man so hinlebt,ist sie rein gar nichts. Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie.
Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen. Manchmal steh‘ ich auf mitten in der Nacht und lass‘ die Uhren alle, alle stehn. Allein, man muss sich auch vor ihr nicht fürchten. Auch sie ist ein Geschöpf des Vaters, der uns alle erschaffen hat.„“

https://luft.mind-panorama.de/die-schmelzenden-uhren/

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