23.5.2021. Der Leicester Square in London war einmal ein Zentrum des Vergnügungsviertels Soho. Im Jahr 2003 standen dort immer noch die Uraufführungs-Kinos, bei denen manchmal Königin Elizabeth II. als Ehrengast auftauchte. Bei der „Royal Performance“ schüttelte sie zum Schluss den Hauptdarstellern die Hand. Auf einer Theaterbühne lief vom 25.11.52 bis 16.3.2020 täglich Agatha Christies Krimi „Die Mausefalle“. Solche Rekord-Laufzeiten gibt es heute kaum noch.
Die Zeiten haben sich geändert. Die Spektakel sind einfach weniger geworden, die verkauften Eintrittskarten auch. Die Versammlungsverbote haben das noch gesteigert. Aber schon im Dezember 2003 wehte ein anderer Wind. London war für Besucher eine der teuersten Städte der Welt geworden. Eine normale Pizza kostete am Trafalgar Square das Dreifache des gewohnten Preises. Abends beschränkten wir uns auf einen kleinen Schnellimbiss, weil tagsüber auch alles zu teuer war. Aber man konnte planen und auswählen. Lange Spaziergänge zeigten die Sehenswürdigkeiten hautnah. Westminster Abbey, die Krönungskirche, war vormittags sogar fast menschenleer.
England war schon damals eine europäische Finanzzentrale, aber die historischen Bauten standen unter Denkmalschutz und durften nicht verändert oder erneuert werden. Andere Fakten wusste man aus Berichten und Filmen. Die unvergesslichen Augenblicke waren deshalb zwar begrenzt, wirkten aber stärker nach.
Im riesigen Britischen Museum steht der Stein von Rosette. Er wurde 1799 in Alexandria entdeckt. Der Stein enthält in drei Sprachen den gleichen Text, und die griechische Version ist gut lesbar. Deswegen bot der Stein einen wertvollen Schlüssel zur Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen, einer Bilderschrift, die vorher als unlesbar galt. Damit wurde die Erforschung der Pharaonenzeit viel einfacher, und die Methode ließ sich noch in vielen anderen Bereichen verwenden. Steht man selbst vor einem solchen Zeichen aus der Frühzeit der Menschen, hat man eine Menge zum Nachdenken oder für praktische neue Ideen. Wie bei einem Puzzle mit tausend Einzelteilen, das man zusammensetzen soll. Das kann lange dauern. Einfacher wäre es, wenn man von dem Computer, der das zubereitet hat, das Rezept bekommt. Aber dann wäre die Sache sofort beendet und verliert ihren Sinn.
Nicht nur das ganz Große, auch Kleinigkeiten haben eine Wirkung. In der Nähe vom Zugbahnhof St. Pancraz gab es ein kleines Lokal, drinnen fast dunkel. Schwarz lackierte Wände. Im Halbschatten Billardtische und Zielscheiben für Scart-Pfeile. In einer Ecken standen nur ein paar Soldaten in Zivilkleidung herum, die kaum redeten und sich ihr Bier selbst an der Theke holten.Dazu liefen bekannte englische Schlager der Sechziger Jahre. Man sagte nichts und ging wieder, konnte sich aber Ergänzungen zuammenreimen. Daran denke ich öfter. Antworten gibt es nicht. Aber Fragen haben einen eigenen Wert.
Nicht weit vom Leicester Square entfernt ist die Baker Street, auch in den Sechziger Jahren ein Zentrum von „Swinging London“. Die Stimmung ist verweht, aber ein Lied gibt immer noch die damalige Großstadt-Atmosphäre wieder. „Baker Street“:
https://www.youtube.com/watch?v=Fo6aKnRnBxM
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