27.10.2021. Manchmal sind es kleine Sachen, die Menschen große Freude machen. Seit vielen Jahren tauchten in München immer wieder Figuren auf, die kamen und gingen. Nur bei einer Minderheit ist das schade. Denn die untergegangene Traumstadt hat noch viele Schatzkammern und Paradiesgärten, die versteckt bleiben. Das ist auch gut so, aber manchmal vermisst man einen Klang, ein Thema oder Dialoge, die steigerungsfähig waren. Zumutbar davon ist immer nur eine Auswahl. Ein kleiner Ausschnitt, und nur die Beteiligten daran wissen, wo die anderen Türen sind, auf dem Weg in die Unendlichkeit oder an den Rand des Universums.
Vor sechzig Jahren sah man im Fernsehen ein paar Berühmtheiten, die heute Keiner mehr kennt. Dann reicht jetzt ein kurzer Hinweis, und im Internet sind sie plötzlich wieder da. Sparsamkeit ist auch dabei unbezahlbar. Deshalb erwähne ich diesmal nur zwei Namen von Sängern, die immer einen überschaubaren Kreis von Bewunderern hatten, der aber auch nur eine Randerscheinung war, wenn man in einer unbekannten Kleinstadt aufwuchs. Beispiel Nummer 1: Anton de Ridder. Hier hört man ihn mit dem „Postillon de Lonjumeau“:
https://www.youtube.com/watch?v=QtKrVu6pBPU
Der zweite Name ist Corneliu Murgu. Er singt Puccinis bekanntes „Nessun dorma“ :
https://www.youtube.com/watch?v=MS_NL7fUmGs
De Ridder trat vor sechzig Jahren oft im Münchner Gärtnerplatztheater auf. Er hatte eine helle, ausdrucksvolle Stimme und beherrschte das Hohe C, als wäre es nichts Besonderes. Murgu war damals oft an der Wiener Staatsoper zu erleben. Nachdem er sich für den Abschied entschied, leitete er das Opernhaus in seiner rumänischen Heimat.
Solche Namen hört man heute nur noch ausnahmsweise, aber einige Kenner können stundenlang davon erzählen, auch über die Lebensläufe und den weltweiten Glanz, den sie einmal verbreiteten. Solche Formate gab es im westfälischen Münster nicht, aber dort erlebte ich von 1971 bis 1987, welche Höchstleistungen Künstler erreichen, wenn sie sich begeistern. Daraus entstanden auch Freundschaften, aber die Zeit verkleinert die Möglichkeiten, sie persönlich zu treffen. Und das war immer besser als jedes dicke Buch, das zwar eine Überfülle von Informationen enthielt oder unvergessliche Abende als Opernbesucher, aber Nichts übertrifft eine Premierenfeier. Einige Jahre lang nahmen Münchner Journalisten oder Musikfreunde mich dorthin mit. Kontrolliert wurden sie niemals, weil sie allseits im Haus bekannt waren, als großzügige Spender oder als unverbesserliche Musikfreunde. Wer jetzt noch erreichbar ist, will dort gar nicht mehr hin, wegen der Mängel in den Inszenierungen oder der mittelmäßigen Qualität vieler Mitwirkender.
Und es ist keine romantische Nostalgie: Die Musikaufzeichnungen und Verfilmungen beweisen, dass die ganz hohe Qualität nicht mehr selbstverständlich ist. Hört man die erwähnten Tenöre Anton de Ridder und Cornelius Murgu, ist jede langweilige Diskussion darüber oder künstliche Probleme sind eine sinnlose Zeitverschwendung. Noch besser sind heute nur ganz wenige Persönlichkeiten, die gar keine Zeit für Geschwätz haben. Ein paar habe ich auch gekannt, aber schon vor dreißig Jahren begann langsam der Abschied, der Große Zapfenstreich, und wenn nichts davon bleibt außer Erinnerungen, ist das immer noch sehr viel.
Aber Erinnerungen können auch etwas Lähmendes haben. Gegen Unbeweglichkeit hilft ein Zaubermittel, die bereits öfter erwähnte Formel: Zwei Messpunkte aus Vergangenheit und Gegenwart ergeben eine graphische Linie, die nach unten oder nach oben zeigt. Das ist die Zukunft. Sie verbessert sich nur, wenn es Veränderungen gibt, in der Schaltzentrale des menschlichen Bewusstseins. Bei jedem Projekt ist das die Matrix, die Schalthebel, die leider nicht immer von den Besten besetzt sind.
Doch der Tanz auf dem brüchigen Eis oder auf einem schlafenden Vulkan weckt schwere politische und ökonomischen Krisen, erzeugt ein immer größeres Durcheinander, direkt auf dem Weg zum Chaos. Krieg und Spannungen, die überhaupt nicht sein müssen. Dann können auch Beispiele aus dem belanglosen Alltag wertvoll sein, wenn man die Signale richtig versteht, auswertet und anschließend realistische Veränderungen durchsetzen kann. Der Verstand macht alle Wege frei, wenn nicht die Dummheit wäre. Die Trägheit. Besserwisserei. Der aufgeheizte, hochprozentige oder außer Kontrolle geratene Machtrausch, um andere zu beherrschen und ihnen ein Leben vorzuschreiben, das unmenschlich ist, weil es nach den stahlharten Prinzipien der Dummheit funktionieren soll. Eine schlechte Rechnung, deren Ergebnisse voraussehbar sind, die aber nicht nur von den Kassen im Supermarkt erzeugt wird, sondern „ganz oben“, wo die Schalthebel bedient werden. Zu viele Mitarbeiter und Mitwisser enthalten jedoch immer das berechenbare Risiko, dass ein vertrocknetes Gestrüpp auch genau angeschaut und abgeholzt werden kann.
Deshalb ist das eigene Schließen von Informationslücken eine immer wichtigere Aufgabe für die Zukunft, weil man sonst den Überblick verliert..Genauso das Trennen von Hauptsachen und das Verschieben von Nebensachen auf eine niedrigere Treppenstufe. Schon sind damit zwei große Aufgaben erledigt, wenn sie ernst genommen werden und nicht in einem klebrigen Sumpf verschwinden. Leider gibt das Gegenteil immer noch den Ton an, lockt auf falsche Spuren oder in undurchschaubare Labyrinthe. Die Welt kann technisch immer komplizierter werden, aber solche Hinweise sind eigentlich ganz einfach zu beachten, wenn es denn überhaupt gemacht wird.
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