Mitten in der Stadt

3.8.2021. Piazzale Michelangiolo mit einer großen David-Statue bietet einen Ausblick über ganz Florenz und seine märchenhaften Renaissance-Bauten,  von einer bewaldeten Bergkuppe aus. Spricht man mit Einheimischen, haben sie oft weder Zeit noch Geld dafür, weil sie in zeitraubende Berufe eingespannt sind. Auch in München hört man öfter diese Geschichten, weil es viele Einwanderer aus dem Süden gibt. Piazza Navona ist einer der schönsten Plätze, mitten  im großen Rom. 1649 schuf Bernini dort den barocken Vierflüssebrunnen,  der Besucher aus aller Welt anlockt. In einem der Straßencafés ringsum kann man Sommerabende ganz langsam ausklingen lassen. Manchmal tanzen Einheimische draußen auf dem Platz,  in Gruppen, und man sieht einzelne Rosenverkäufer. Das sind meistens Kinder aus den Vorstädten, die mit dem Verkauf etwas Geld nach Hause bringen sollen. Diese Vorstädte sind weit weg, am Stadtrand. Sie umringen alle alten, historischen Großstädte, die sich Niemand mehr privat leisten kann, wenn er nicht für ein paar Tage im Hotel lebt oder dort eigenen Besitz hat.

Sieht man die endlos langen Vorstädte zum ersten Mal, denkt man an eine Landung auf dem Mond. Riesige Betonkästen aus Billigmaterial, die alle gleich aussehen. Die Ideen dafür kamen 1919 vom Weimarer „Bauhaus“. Die Architekten wollten keine dekorativen Schnörkel mehr wie in der Barockzeit, auch nicht die attraktiven Bauten früherer Jahrhunderte. Nüchterne Zweckmäßigkeit war das Leitmotiv, wie bei der Herstellung einer Schuhschachtel mit lebenden Einwohnern. In Deutschland war das die Nummer Eins, als 1945 fast alle Städte durch Kriegsbomben zerstört waren. Die neuen Gebäude waren vergleichsweise kostengünstig, halten lange, und auch Passanten können sich noch in fünfzig Jahren daran freuen. Allerdings gibt es meistens recht wenige Cafés oder Versammlungsorte, und mit dem Bus  ist man ganz schnell fort und dort, wo alle Anderen auch  so gern sind, in der Stadtmitte mit ihren vielen Sehenswürdigkeiten, Bistros und romantischen Wanderstrecken.  Über zwanzig Jahre lang habe ich die Gebäude einer großen Firma verwaltet. Dabei gibt es Alles zu sehen, was man nirgendwo lesen kann. Gute Menschen, böse Menschen. Große Planungen und Projekte. Nebensachen, die viel Wind machen, aber nur trockenen Sand aufwirbeln. Nebel, der sich am Vormittag auflöst oder nur von Computern der Zukunft verarbeitet werden kann. Entwickelt  werden sie von Denkern wie Steven Weinberg (1933 – 2021). Über ihn habe ich am 1.8.21 geschrieben: „Er starb am 23. Juli, vor einer Woche. Er war ein Forscher bei der elektromagnetischen Wechselwirkung im Standardmodell der Teilchenphysik. Unter den Physikern hat sich auch sein Kollege Albert Einstein (1879 – 1955) als „Kosmologen“ bezeichnet. Er suchte eine Weltformel, die Alles erklärt, aber vermutlich gar nicht existiert.“ Hier ist der Artikel:

https://luft.mind-panorama.de/steven-weinberg/  

Herausragend sind diese vielversprechenden Modelle, weil sie Entdeckungen der Vergangenheit neu zusammensetzen und erweitern. Einstein schrieb: „Wir stehen auf den Schultern von Riesen, die vor uns waren.“ Er war außerordentlich bescheiden, sagte aber auch: „Früher habe ich die akademischen Kapazitäten verachtet, jetzt bin ich selbst Einer.“ Und unvergesslich: „Es heißt, dass zwei Dinge unendlich groß sind: Das Universum und die menschliche Dummheit. Beim ersten Stichwort bin ich mir nicht ganz so sicher.“ Dummheit ist tatsächlich die Ursache sehr großer Fehler und Beschädigungen. Aber sie ist immer leichter nachzuweisen. Vor zwanzig Jahren, als Einstand bei den neuen Kollegen, wurde allen Anwesenden von der Geschäftsleitung verboten, Arbeitsaufträge an eine bestimmte Firma zu verteilen. Dann kam heraus, dass diese Firma dafür Belohnungen zahlte. Was Niemand wusste: Der zuständige Abteilungsleiter besuchte seine Mitarbeiter in ihren Büros  und entschied  dabei ganz vertraulich, über den Gewinner des Wettbewerbs. Verurteilt dafür wurden zwar nur die kleinen Lichter. Aber sogar das wird immer schwieriger, weil zu viele Ohren mithören, auch, wenn sie gar nicht anwesend sind.

Schwarzmalerei ist das nicht, aber Dauerthema beim täglichen Kaffeetrinken in der Betriebskantine, wo auch die Nebentische zuhören. Unterschätzt oder nicht ernst genommen wird das aber  offensichtlich, auch der ganze Käse drumherum, mit Kreuz- und Querverbindungen. Doch die Zeiten ändern sich immer. Florenz und Rom sind uralt. Sie wurden am Anfang erwähnt, aber nur als Zufallsbeispiele für schöne Innenstädte und deren Veränderung.  Ein Beispiel ist immer nur ein Signal, das keine Kopien hat, aber ein paar  Verwandte, die nicht überall sehr beliebt sind. Ihre Besuche kann man vermeiden, wenn man will.

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