Morgendämmerung und Sonnenaufgang

23.7.2020. Morgendämmerung und Sonnenaufgang gibt es zur Zeit gegen 5.00 Uhr. In fünf Monaten ist das drei Stunden später. Das Herbstlaub hat sich dann auch schon verabschiedet. Aber mit dem Licht begann vor dem Siegeszug der Technik auch der Arbeitstag, dessen Ablauf seit zweihundert Jahren durch minutengenaue Stechuhren für die Mehrheit festgelegt ist. Selbst die frei schaffenden Künstler und Könige nutzten das Tageslicht aus, um flackernde Gaslaternen, matte Kerzen und Strom zu sparen.

In mittelalterlichen Kirchen stand der Altar immer im Osten. Dahinter sah man ein großes Auge mit einem Strahlenkranz. Das Auge Gottes sah Alles, auch Heimlichkeiten im Dunkeln. Wenn dann die Morgendämmerung begann, fiel das erste frühe Licht aus dem Osten auf hohe, farbige Glasfenster, deren Einzelteile aus kleinen Mosaiksteinen bestanden, die schon bei der Herstellung ganz genau zueinander passen mussten. Die Themen der Bilder bestanden aus Elementen des „Buchs der Bücher“, der Bibel. Und aus dem Alltagsleben der körperlich arbeitenden Bauern und Handwerker.

Die Architektur der Kathedralen zeigte Säulen, Bögen, Nischen, Kreuzgewölbe, die für die Stabilität sorgten. Lebensgroße Figuren von Heiligen, vergangenen Herrschern und Denkern, Diese Bauten sollten ein Abbild des ersehnte Paradieses sein. Im westlichen Hintergrund wartete eine große Orgel darauf, solche Ideen mit mächtign Klängen zu erweitern, gesteigert durch eine hallende Raumakustik. Musik von Johann Sebastian Bach und Anton Bruckner wird in einer solchen Umgebung zum starken Erlebnis. Für die beiden Tempelszenen in Richard Wagners Schlusswerk „Parsifal“ wurde sogar eine eigene Raumakustik für den Zuschauerraum seines Festpielhauses genutzt.

Gebäude werden von Handwerkern gebaut. Für die aufwändigen Großkirchen des Mittelalters wurde keine festen Firmen ausgewählt, sondern überragende, frei herumreisende Arbeiter. Sie gebrauchten als Vorlage für ihre Tätigkeit die Ideen und Pläne von hoch gebildeten Architekten, die auch alte magische Symbolbilder verstanden und umsetzten. Die „Baumeister“ und ihre Mitarbeiter, die „Freimaurer“, bildeten eine starke Gemeinschaft, nicht mit militärischen oder finanziellen Mitteln, sondern durch die gemeinsame Aufgabe. Ihr damaliger Großmeister und Bankier war ein unbeirrbarer Helfer und Förderer Richard ,Wagners. Dessen Wunsch nach einer förmlichen Mitgliedschaft in ihrer Gemeinschaft wurde jedoch abgelehnt, aufgrund unterschiedlicher privater Äußerungen. An der guten Zusammenarbeit änderte das überhaupt nichts. Das später gebaute Wohnhaus des Komponisten ist nur fünf Minuten, in östlicher Richtung wie die beginnende Morgendämmerung, vom Logengebäude der Freimaurer entfernt. Seine Spätwerke „Meistersinger“ und „Parsifal“ enthalten viele Anspielungen und Hinweise auf seine Unterstützer.

Auch seine vorherigen Meisterwerke sind mit dem Innenleben aller anderen existierenden Opern nicht vergleichbar. Er schuf Mysterienspiele, deren Geheimnisse sich deuten lassen. aber trotzdem rätselhaft bleiben. Mit einer Bildersprache, die an verschlüsselte Zeichen aus frühen Hochkulturen erinnert. Schlüsselwörter ohne lange Erklärungen und Geschwätz setzen darin Signale wie Zauberformeln. Mächtige, unzerstörte Naturbilder durchdringen das vierteilige Zentralwerk vom „Nibelungenring“. Neid, Eifersucht, Lügen, Machtgier und der gnadenlose Fluch eines goldenen Rings vernichten darin die atmende Welt. Das sind alte Antriebskräfte, die auch schon vor fünftausend Jahren und früher ihre elementare Zerstörungswut entfesselten.

Davor warnen in der „Götterdämmerung“ drei nächtliche Schicksalsnornen. Doch danach setzt das große Orchester ein, mit „Morgendämmerung, Sonnenaufgang, Siegfrieds Rheinfahrt“. Hier unvergleichlich dirigiert von Leopold Stkowski:

https://www.youtube.com/watch?v=fNf7IgvSYRc

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