Musik im Halbdunkel

28.1.2022. Viele beliebte Münchner Gaststätten haben in den letzten zwanzig Jahren eine merkwürdige Mode nachgemacht: Tagsüber waren sie vom Tageslicht beleuchtet, und man konnte sich über die Möbel und Wandbilder freuen, sogar die Stammgäste genau wieder erkennen. Dann wurden im Herbst die Tage früher dunkel und dann wurde auch noch die Innenbeleuchtung gedämpft Sogar für die Speisekarte brauchte man eine Taschenlampe oder einen freundlichen Mitarbeiter, der Zeit für Auskünfte hatte. Warum? Weil das Halbdunkel für viele Köpfe geheimnisvoll wirkt, die hässlichen Gesichter sind nur noch Schatten, und die Gespräche wurden geflüstert oder von Musik übertönt. Vielleicht herrschte auch im Innenleben Dunkelheit, aber jeder hatte die Freiheit, den Standort zu wechseln, zum Zeitunglesen oder für wachsame Ohren, die ganz genau zuhörten und dann plötzlich den Mund aufmachten. Solche geheimnisvollen Menschen bekommen Schwierigkeiten, weil der Informationsaustausch niemals nur elektronisch ablaufen kann, sondern Ergänzungen braucht, durch Fragen und verständliche Antworten. Das hat sich verlagert in das Berufsleben, so dass die Energie dort auch bleibt und abends im Dunkeln sitzt.

Gespräche kann man auch dann meiden, wenn bestimmte Stichwörter fallen, weil dann der Rest des Abends schon klar ist. Viele sind trotzdem unvermeidbar, und beim Namen eines bestimmten Komponisten kann man sofort mit der Fernbedienung umschalten. Wenn nicht die Assoziationen wären, die Gedankenbrücken. Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) schrieb über die „Meistersinger von Nürnberg“: „Das ist wie eine große Stadt. Man kann außen herumgehen, und wenn man hineinschaut, entdeckt man immer neue Türen und Fenster.“ Zum Stichwort „Meistersinger“ gibt es hier schon über 50 Artikel, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Sache unter die Lupe nehmen. Auch die Musik. Wagner verwendete dabei drei Mal die Methoden seines Kollegen Johann Sebastian Bach (1685- 1750). Dazu  spielt ein starkes Riesenorchester, wie es Bach niemals zu Verfügung stand, aber sein Bewunderer verwendete, unüberhörbar,  die Klangsprache seines Vorbilds: Klare, logische Rhythmen, eine zweite Melodie als Kontrapunkt und ein Innenleben, das bis heute nicht übertroffen wurde. Und schon ergibt sich daraus die Idee, die sieben anderen Hauptwerke einmal nur musikalisch anzuschauen. Im „Lohengrin“ verbreiten hohe Violinen einen märchenhaften Ton, der nur manchmal durch die Realität gestört wird, mit Pauken und Trompeten. In diese Mischung verliebte sich der bayerische Märchenkönig Ludwig II, der auch solche Märchenschlösser bauen ließ. Weil die sehr teuer waren, erklärte ihn die Münchner Regierung einfach für verrückt. Er beging deshalb Selbstmord im Starnberger See und nahm dabei auch noch seinen Irrenarzt Berhard Gudden mit. Zum Stichwort „Ludwig II.“ gibt es hier 26 Artikel, die den Schwindel und die Lügen der Gutachter erkennbar machen, die man anschließend der Bevölkerung vorsetzte, den aber die wenigsten glaubten, je mehr von der Wahrheit ans Licht kommt.

Nach dem Lohengrin gelang ein Kraftakt: Die vier Abende vom „Ring des Nibelungen“. Spannend ist das bei guten Aufführungen, die anderen sollte man sofort in der ersten Pause verlassen. Und ganz hervorragend ist die Radio-Übertragung von 1958, unter der Leitung von Hans Knappertsbusch. Das kann man nicht nebenbei hören, aber in den letzten Jahrzehnten war das immer wieder unübertrefflich, mit den besten Sängern der damaligen Zeit. Auch das Publikum und die Sänger standen damals Schlange, um nur ein einziges Mal dabei zu sein. Knappertsbusch begann 1951, mit der ersten Vorstellung nach dem Krieg, und erst mit „Parsifal“, ging er dann auch, bevor er am 25.10.1966 in München starb. Die Premieren waren damals ein Treffpunkt für Prominente und Millionäre, spielten aber nur eine Rolle in der Sensationspresse. Wer viel Geld hat, bekommt dafür auch eine große Auswahl, und die Wagnerwerke haben damit nichts zu tun. Man kann sie auf der ganzen Welt sehen, und leider lohnt sich das in vielen Fällen nicht. Gute Verfilmungen gibt es genug, und Jeder kann sie auf YouTube anschauen.

Leider gibt es fast nur Fotos von den Inszenierungen des Zauberers und Magiers Wieland Wagner (1917 – 1966), die von 1951 bis 1966 für jahrelange Wartezeiten bei den Besuchern sorgten. Er war ein Meister der abstrakten, eindringlichen  Symbolbilder und vertiefte sie mit einer eigenen, unverwechselbaren Handschrift. Dafür verlangte er Einiges: Ein Chorsänger schaute während der Proben nur kurz auf seine Armbanduhr, da herrschte Wieland ihn an: „Verlassen Sie sofort das Haus!“. Nachts saß er stundenlang mit dem Beleuchtungsmeister Paul Eberhardt im Zuschauerraum und probierte ausgefallene Farbtöne aus. Und wenn bekannte Sänger mehr Geld wollten für die langen Abende, sagte er nur: „Bei mir werdet ihr berühmt. Geld verdienen könnt ihr woanders.“ Aber jeder Star war dankbar dafürr, wenn ermitmachen durfte. Wieland arbeitete qualitativ  in gleicher Augenhöhe wie sein Großvater.

Mitten im „Nibelungenring“ unterbrach Richard Wagner die Arbeit daran. jahrelang. Dafür gelang „Tristan und Isolde“, mit Melodien, die damals völlig neu waren und ständig die Tonart veränderten. Dann kamen die bereits erwähnten „Meistersinger“, die realistisch aufgebaut sind, aber voller Rätsel und Überraschungstüren sind, wie ein Adventskalender.

Und dann noch das „Weltabschiedswerk“: Parsifal. Der ganze Klang wird wieder von Violinen dominiert, wie schon der Lohengrin. Aber hineingeflochten ist eine Überfülle anderer Instrumente, deren Gesamtklang in der Musikgeschichte einzigartig ist.

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