Musikgewitter und leere Gläser

27.6.2021. Vorbeirasende Bilder mit Musikbegleitung wurden in den Tanzlókalen immer beliebter, als dort noch Schallplatten aufgelegt wurden. Runde Scheiben („Discs“) waren das Merkmal der Diskotheken, die sonst nur noch aus einer Tanzfläche und einer langen Theke bestanden. Dann wurde die Technik immer hektischer und lauter. Gespräche waren kaum noch möglich, und Gewitter aus buntem Laserlicht beherrschten die Räume, bis sie aus der Mode kamen. Nachfolger waren Bistros, die sich immer ähnlicher sahen, mit halblauter Musik, die nur noch wenige Unterschiede hatte und einem betont jugendlichen Publikum, dessen Frisuren und Kleidung den Eindruck machten, sie wären alle in dem gleichen Laden gekauft worden.  Der Gedankenaustausch lief über weit  voneinander entfernte Smartphones und wurde immer leiser. Die anschwellende Leere wurde zu einem Markenzeichen der letzten Jahre, während sich das Freizeit-Angebot immer mehr steigerte. Alles wurde ausgewertet, um Lücken zu schließen. Vom überfüllten Grabbeltisch flogen die Museumswaren, die einen höheren Zeitaufwand brauchten und die Möglichkeiten, in der Leere noch etwas genauer anzuschauen. In den Kaufhäusern tauchten weniger Kunden auf, in den Biergärten herrschte Hochbetrieb, bis es zu einer längeren Zwangspause kam. Die Einnahmen sackten dabei schlagartig ab, und jetzt müssen die Preise erhöht werden. Nicht nur in der Freizeit, sondern auch in den großen Firmen, beim Warenangebot. Die Kultur hat weniger Besucher, weil sie längst auf andere Verbreitungstechniken umgestiegen sind. Der Regelungsbedarf in der Politik wird durch lange, sehr langweilige  Reden verwässert, die unerledigten Fehler leben weiter und die Ungerechtigkeiten haben sich gesteigert.

Zu jedem komplizierten System gehören Maschinenmeister, und die gingen auf Tauchstation. Stattdessen gab es immer mehr Dauervertreter ohne Erfahrungen und Energie. Und Notlösungen. „Getretener Quark wird breit, nicht stark.“ Sprichwörter treffen manchmal ins Schwarze. Wenn Menschenmassen unterwegs sind, ist es wie bei einem Fußballspiel. Die meisten zahlen und schauen zu. In Verona sah ich einmal das traurige Ende eines Lokalderbys. Die Gäste aus Mailand mussten mit ihren Privat-Autos an der berühmten Opern-Arena vorbeifahren. Dort warteten Einheimische. Sie drehten die nächsten Wasserhydranten auf, öffneten die Autotüren  und sorgten für eine eiskalte Dusche. Erst als die Massenflucht vorbei war, kam die uniformierte Polizei, kontrollierte ein paar Ausweise und verschwand wieder.

Mehr war auch nicht möglich, deshalb war das Abwarten ein Teil des üblichen Spiels, das Alle kannten. Und so haben sich viele andere Spiele ereignet, nicht nur beim Sport. „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ ist der Titel einer Studie von Sigmund Freud. Unter anderem erklärt er, dass einzelne Personen ihren eigenen Willen verlieren und Mitläufer werden, wenn sie Teil einer Masse sind, zum Beispiel bei politischen Großveranstaltungen oder bei der Hetze gegen Minderheiten. Er schrieb auch über den „Witz und seine Beziehung zum Unterbewusstsein.“. Das heißt: Gewohnheitsmäßige Witzereißer werden von ihrem bewegten Innenleben gesteuert und suchen sich danach ihre Themen aus. Sie mögen aber keine  Kommentare dazu, weil sie lieber darüber schweigen. Daraus ergeben sich Rückschlüsse, bei denen zu viel Neugier immer unerwünscht ist, aber Steuerfunktionen sichtbar werden, die hinter verschlossenen Türen aktiv sind, also unauffällig. Handelt es sich dabei um Führungskräfte mit eigenem Machtbereich, müssen die Mitarbeiter auch ständige Spassmacher  ertragen.  Oder Frührentner werden.

Traurig wird die Sache nur dann, wenn das greifbare Gesamteinkommen nicht mehr zur Bezahlung des vorherigen Schwungs ausreicht. Ein arbeitsloser Finanzberater kümmerte sich dann um das Ersparte innerhalb seiner Verwandtschaft, bis nicht mehr viel davon da war. So etwas passiert auch tatsächlich.

Die Traumpartner in den vielen elektronischen Kontaktbörsen existieren nur als Minderheit. Manchmal sind sie nur Raubvögel und Beutegeier, auch ihre herumgeisternde Kundschaft. Zuverlässiger sind Wachsamkeit und Erfahrungen. Manchmal reicht dafür eine halbe Stunde. Dauert es länger, ist das Risiko noch größer. Wiederholungen sind dabei Warnsignale. Vergleiche auch. Überall gibt es Experten dafür.  Schäden lassen sich früher vermeiden als es allgemein bekannt ist. Danach spricht es sich sowieso herum, nicht nur bei den persönlich Beteiligten.

Ein farbiges Bild ohne dunkle Stellen ist langweilig, aber ständige Übertreibungen noch mehr. Die Vergangenheit  hat eine eigene Kraft aus der Mischung und dem Weglassen von Nebensachen. Das reicht oft aus.

Der Inhalt der „Winterreise“ von Franz Schubert (1797 – 1828) macht auf den ersten Blick einen dunklen, hoffnungslosemn Eindruck. Aber die Sprachbilder verknüpfen sich mit der Musik, und dann ist es auf einmal eine Schatzkammer von Ideen und Anregungen.

Peter Anders gibt in seiner herausragenden Aufzeichnung auch eine innere Momentaufnahme der damaligen Außenwelt, kurz bevor Berlin, im Winter 1945, von Kriegsbomben völlig zeratört wurde.  Aber schon im nächsten Jahr wurde der gröbste Schutt weggeräumt. Aufbruchsstimmung verbreitete sich. Und das Wirtschaftswunder, dessen Regeln einen raschen Wohlstand für Alle, aus dem Nichts herbeizauberten. Deutschlands beste Jahre.

Aber die Ursachen für das Glück gerieten schon lange in Vergessenheit.  Zum ewigen Kreislauf gehören nicht nur die vier Jahreszeiten, die wechselnden Lebensalter und die vergänglichen Epochen der außer Kontrolle geratenen Kaiser und Könige. Sondern auch die Erfolge. Es darf nur nicht sein, dass die Welt immer kälter und ungemütlicher wird. Gründe dagegen gibt es genug. Und auch realistische Ideen. Aber dann muss sich die Mehrheit noch viel mehr daran beteiligen statt nur passiv abzuwarten, wie bisher.

Hier kann man Peter Anders mit der vollständigen „Winterreise“ hören (74 Minuten):

https://www.youtube.com/watch?v=DcYHViBkXA0

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