Nietzsches Absturz

30.8.2021. Wer Unglück hat, wird auch zum Thema von Ahnungslosen. Dann werden Gerüchte und Vermutungen verbreitet, möglichst mit wichtigtuerischen Kommentaren. So vergingen auch die letzten Tage vom bayerischen Märchenkönig Ludwig II (1845 – 1886). Nachdem die bayerische Staatsregierung Lügen über ihn verbreitet hatte und der kriminelle Psychiater Bernhard Gudden das passende Gutachten dazu schrieb, beging er Selbstmord im Starnberger See, mit 41 Jahren. Zum Stichwort „Ludwig II.“ gibt es hier schon über 30 Beiträge:

https://luft.mind-panorama.de/?s=ludwig+II&x=17&y=10 

Jeder Fall verdient eine sachliche Bewertung. Über die Hintergründe der Flucht des Dramatikers William Shakespeare aus London, geboren 1564. kann man viele Dokumente mit Vermutungen studieren. Die Tatsachen dieses Kriminalfalls habe ich auf einer eigenen Webseite zusammengefasst und bewertet, „Zeichen und Bilder“ :

https://www.mind-panorama.de/ 

Shakespeare wurde niemals verdächtigt, wahnsinnig zu sein. Allein seine leidenschaftlichen Sonette, 154 Liebesgedichte,  beweisen das, denen hier auch ein eigenes Kapitel gewidmet ist, mit 15 Kommentaren. Aber Shakespeare  war jähzornig und unbeherrscht, legte sich mit der mächtigen Kirche an und tauchte erst unter, als es schon fast zu spät war.

Sehr schwierig ist der Fall Friedrich Nietzsche (1844 – 1900). Sein Wahnsinn ist ganz anders zu beurteilen. Zunächst war er ein Philosoph mit einer bildermächtigen Sprache, der die „Umwertung aller Werte“ forderte. Dazu erschien bereits gestern ein Artikel:

https://luft.mind-panorama.de/alter-schnee/ 

Nietzsche war ein Meister der sprachlichen Symbolik. Darum ist es nicht erstaunlich, dass er Richard Wagner (1813 – 1883) persönlich ganz nahe kam. Der Komponist schickte ihm sofort eine Einladung, für sein Wohnhaus Wahnfried. Nietzsche wurde dort  zu  einem engen Hausfreund. Vorher hatte er ein Buch geschrieben: „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik.“ Darin beurteilte er die gesamte antike Kultur der Griechen als einen Vorläufer von Wagners Gedankenwelt. Der übernahm aus dem alten Athen, zum Beispiel die Gestaltung seines eigenen Zuschauerraums, als ansteigende Sitzflächen eines Amphitheaters. Der erste Anlauf dafür steht in München: Das Prinzregententheater sieht im Inneren aus wie das spätere Festspielhaus, sogar wie eine  genaue Kopie. Ganz in der Nähe ist der goldene Friedensengel, eine überrdimensionale Säule, von der aus man weit über die Altstadt und den Englischen Garten schaut. Nebenan ist auch ein Hochufer der Isar, mit einem großen Wagner-Denkmal.

Doch die fest geplanten Münchner Ideen  brachen plötzlich zusammen, als König Ludwig II, den Komponisten bei einer Lüge erwischte. Die verheiratete Cosima war angeblich nur seine gute Bekannte, aber auch die Ehefrau des Meisterdirigenten Hans von Bülow, der in der Bayerischen Staatsoper die umjubelten Uraufführungen von „Tristan“ und „Meistersingern“ leitete. Doch dass die Dame, auch als Wagners spätere Ehefrau, längst seine Geliebte war, pfiffen alle Spatzen von den Dächern. Der König forderte den erwischten Ehebrecher auf, sofort die Stadt zu verlassen, und der fand endgültig einen neuen Lebensmittelpunkt, „ganz oben“ im Norden von Bayern.

Und dort tauchte auch Nietzsche auf. Wagner behandelte ihn nur respektvoll, aber distanziert, doch der Philosoph steigerte sich hinein, in Ausnahmezustände der Bewunderung. Warum auch das plötzlich radikal umkippte, ist das Thema vieler dicker Bücher. Beschränken kann man sich auf wenige Hauptsachen: Angeblich war Nietzsche heftig verliebt in Cosima und eifersüchtig, aber es gibt keine Quelle, die ihn  als Frauen-Verehrer bezeichnet. Am 3. Januar 1889 erlitt er in Turin einen geistigen Zusammenbruch, mit 45 Jahren. Danach verfiel er innerlich immer mehr, und schrieb zum Schluss nur noch verwirrte, sinnlose Sätze. Angeblich hat Wagner dem behandelnden Arzt dazu einen Brief geschrieben und vermutet, dass die Erkrankung eine sehr persönliche Ursache hatte. Später gab es mehrere Diagnosen, dass Nietzsche – vielleicht –  an einer Syphilis litt, einer damals nicht heilbaren Geschlechtskrankheit, die auch das Gehirn angreift. Er erfuhr angeblich sogar von dem vertraulichen Schreiben des Komponisten, aber auch dafür gibt es keine Beweise.

Tatsache ist nur, dass Nietzsches Bewunderung für Wagner in einen radikalen, fanatischen Hass umschlug. Er schrieb darüber in einem glasklaren, aber sehr erregten, wütenden Tonfall und stellte dabei seine bisherigen Bewertungen völlig auf den Kopf. Vergleicht man die beiden extremen Gegensätze, ergeben sie trotzdem ein schlüssiges Gesamtbild. Als hätte Jemand zunächst auf die helle Seite des Mondes geschaut. Und danach auf die ganz dunkle Rückseite. Nietzsche hat das im „Zarathustra“ selbst formuliert. Die „Taranteln“ (Giftschlangen) sind für ihn Menschen, die in ihrer Lebensplanung enttäuscht wurden und wegen ihrer eigenen Niederlagen und  Rache-Phantasien ihre völlig unbeteiligte Mitwelt bestrafen wollen. Das war die eigene Idee des Philosophen, aber sein „Zarathustra“ war  nicht das Ende vom Lied.

Zitat von gestern: „Den „Geist der Rache“ an anderen, für eigene Misserfolge und Niederlagen, nennt Nietzsche  einen schweren Irrtum, einen gefährlichen Fehler, einen Irrweg. Dann zeigt er die Lösung: „Drei Verwandlungen des Geistes nenne ich euch: Wie der Geist zum Kamel wird. Danach wird das Kamel zum Löwen. Und zum Kind wird zuletzt der Löwe.“ Übersetzt: Der Geist ist geduldig, wie ein Kamel. Der Löwe ist das mutige Recht, sich selbst neue Werte anzueignen, auch gegen mächtige Widerstände. Nietzsche: „Das ist die größte Beute, für einen starken und ehrfürchtigen Geist.“ Das Kind, als Abschluss, ist die persönliche Rückkehr in einen Urzustand, in dem Alles neu beginnt. Die Idee der ewigen Wiederkehr.“

Dem Philosphen selbst gelang diese Wandlung nicht mehr, aus den bereits geschilderten Gründen. Unsterblich bleibt sein überragender Geist. Innerlich ist er verwandt mit den bereits am Anfang genannten Persönlichkeiten. Und das hat seinen Wert, bis heute nicht verloren.

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