29.9.2016. „Northumberland Arms“ in London ist ein Lokal, nicht weit vom Bahnhof „King’s Cross“, von dem aus der junge Magier Harry Potter und seine Freunde zur Zauberschule aufbrechen. Vor mehr als einem Jahrzehnt war ich dort. Damals eine fast dunkle Soldatenkneipe, mit Billardtischen und Selbstbedienung an der Theke. Immerhin, die wenige Tische waren so gut bleuchtet, dass man englische Tageszeitungen lesen konnte und der Sitznachbar zum Abschied wortlos sein eigenes Nachrichtenblatt herüberschob.
Den ganzen Tag vorher rauschten Weltstadtbilder vorbei: Das riesige Britische Museum mit dem dreisprachigen Stein von Rosette, der die Bildersprache der ägyptischen Hieroglyphen enträtselte. Der unruhige Leicester Square mit Kinos, Theatern und einer lebensgroßen Büste des zeitlosen Dichters William Shakespeare. Und Vieles mehr, als Kontrast zur Bescheidenheit des „Northumberland Arms“, wo pausenlos britische Schlager der Sechziger Jahre abgespielt wurden.
Jeder Tag bringt Signale aus der Oberfläche der Realität. Dahinter verbergen sich große andere Welten. Wie bewertet man sie richtig? Aus vielen Perspektiven. Zum Beispiel als kompliziertes Räderwerk, das im Zusammenspiel mit ganz anderen Elementen Wirkungen erzeugt, die auch Computer mit ausgetüftelten Prognose-Programmen nicht vorhersehen können Denn jedes Einzelteil hat eigene, ungenutzte Eigenschaften, nicht erkannte Energien. Winzige Mosaiksteine formen große bunte Fensterbilder in alten Kathedralen nur dann, wenn sie alle auch zusammenpassen.
Das starke, reine Herbstlicht heute verändert nicht nur die leuchtenden Oberflächen, sondern auch ihren inneren Aufbau. Der Lichtwinkel der Sonnenstrahlen wird flacher, schräger, verstärkt wie in einem Glasprisma die Kraft der Farben, lässt die Blätter welken, gibt Signale ab für jede Jahreszeit, die sich verändert.
Das weckt im Bewusstsein einen wechselnden Nachhall, eine starke Erinnerung an ähnliche, längst vergangene Zeiten, deren Bewertung sich durch Erfahrungen vieler Jahre verändert und verstärkt. Wie eine Melodie, die vielstimmig auf mehrere Ebenen wirkt, wenn einzelne Instrumente im Gesamtklang alle Sinne überfluten und beleben, ganz neue Ideen aufwecken, die manchmal auch die Realität verändern.
Selbst Akademiker verlieren dabei immer wieder den Duchblick. Die „Akademische Festouvertüre“ von Johannes Brahms hat dafür eine andere Lösung. Ein Potpourri bekannter alter Studentenlieder, zum Beispiel „Ich hatt‘ einen Kameraden“. „Der Jäger aus Kurpfalz“. „Gaudeamus Igitur“. Das wird mit allen sinfonischen Raffinessen gründlich durchgekaut und bleibt trotz aller professoralen Tüftelei leicht durchschaubar und übersichtlich. Hier kann man das hören:
https://www.youtube.com/watch?v=-imQq8zqH5Y
Hier noch ein Bild von heute: