Pinocchio

25.7.2021. „Pinocchio“ ist ein Kinderbuch von Carlo Collodi (1826 – 1890). Es erzählt von einer Holzfigur und ihren Abenteuern.  Pinocchios Nase wächst auffällig, bei jeder Lüge, was ihn verrät und letztlich vom Lügen abbringt. Das Buch hat mich beim ersten Lesen gelangweilt, weil die wachsende Nase sich zu oft wiederholte. Außerdem hat  sich die Menschheit nicht geändert. Eine Lebensregel ist es, einem Lügner einfach überhaupt nicht zu vertrauen, weil es ein angeborener Charakterfehler ist, der sich nie ändert. Damit kann viel Zeit sparen und Enttäuschungen.

Die Masche ist zwar viel raffinierter oder frecher geworden, aber die Antennen dafür auch noch feiner und aufmerksamer. Der neueste Schrei sind die „Fake News“. Sie tauchen in echten Nachrichtensendungen auf oder in anspruchsvollen Texten, sind aber nichts weiter als Fälschungen, die mit den Täuschungsmöglichkeiten der Computer arbeiten. Dafür gibt es hier hier kein eigenes Thema, aber laufend wird auf die Betrügereien hingewiesen, die sich in der Politik, der Kultur und der Finanzindustrie abspielen. Die Verursacher verdienen immer noch viel Geld damit, aber sie fallen auch immer schneller auf. Vor einem Jahr wusste kaum Jemand, was „Wire Card“ bedeutet, heute findet man genaue Informationen dazu in jedem Lexikon. Auch zu den getarnten Geldverstecken im Ausland, bei denen  ein einziger Mitarbeiter ausreicht, um sie auf einen kleinen Speicherstift zu kopieren und an die dankbaren Geldfahnder zu schicken. Und das ist ja nicht Alles. Faule Tricks hinterlassen einen scharfen Geruch, an dem sie kilometerweit zu erkennen sind. Sogar noch viel weiter. Wer in Afrika einen Schmetterling fängt, erlebt, dass der Flügelschlag in Alaska gehört wird. Denn selbst im Dauerfrost der einsamen, wissenschaftlichen Forschungsstationen gibt es immer mehr empfindliche Messinstrumente, die sich nicht manipulieren lassen.

Es bleibt nur die Frage, was eigentlich erforscht werden soll. Nicht Alles ist erlaubt, auch wenn die Neugier noch so groß ist. Verbotene Aktivitäten müssen keine Arbeit von exotischen Spezialabteilungen sein, die Niemand versteht. Die Informationsfreiheit  der Verfassung erwingt die Öffnung aller dunklen Sumpfgebiete, bis in die äußerste Tiefe. Deren Auswertung ist Sache von erfahrenen Gutachtern, die aber noch nicht selbst aufgefallen sind, mit trüben, verschmierten  Tassen.  Vor Gericht streiten sich dann die hoch akademischen Rechtsvertreter, sehr hörenswert. Trotz jahrelanger Ermittlungen gibt es dann noch Fehlurteile, die sich auch  aufklären lassen. Oder knallharte Erkentnisse, die offen und neutral nachprüfbar sind. Die zweite verschlossene Tür ist die Privatsphäre, alle legalen Geheimnisse, die Niemanden etwas angehen. Auch das wird unterschätzt oder mit wackelnden, falschen  Begründungen juristisch  ausgehebelt. Unzufriedene Mitarbeiter können sehr geschwätzig sein, vor Allem nach Alkohol aus erfrischenden Cocktailgläsern. Die Verchwiegenheitspflicht gilt aber für Ärzte, Anwälte und alle Beamten. Das Risiko ist ein sofortiges Berufsverbot und ein Disziplinarverfahren, mit dem Ziel einer endgültigen Entfernung aus dem Dienst. Bei langjährigen Beteiligten ist das eher selten. Aber manchmal ist ein großer Bienenschwarm in ihrer Nähe, der gern am verbotenen Honig nascht.

Offensichtlich reicht ein  einziges Stichwort wie „Pinocchio“, um solche Gedanken auszulösen, die bequeme Gewohnheiten einfach zusammenbrechen lassen. Im Großstädten ist das nichts Besonderes. Man lernt es überall, in den ersten Berufsjahren. Umso angenehmer ist es, wenn neue Techniken Freude bereiten. Seit einigen Jahren gibt es „Street View“ auf jedem neuen Computer. Es reicht die Angabe einer Adresse mit dem Straßen-Namen, und schon zeigt eine Weltkarte genau den gesuchten Ort. Umschalten lässt sich das auf Satellitenfotos, die sogar einzelne Gebäude aus der Luft abbilden. Wer jetzt Nervenflattern bekommt, weiß nicht, dass die gleichen Informationen, schon sehr lange, auf jeder Straßenkarte zu finden sind. Mich erfreut daran nur, in der Vergangenheit herumzuspazieren, dort, wo man schon jahrzehntelang nicht mehr war. Einzelne Personen sind gar nicht erkennbar, also gilt auch der Datenschutz. Selbst bei einem guten Gedächtnis kann man sich auf Stichwörter verlassen.

Siebzehn Jahre im westfälischen Münster, da braucht man nur das Wort „Domplatz“, und man ist wieder mitten drin, im Zentrum. Gleichzeitig mit der Erinnerung an die vielen Wege, die man von dort aus gehen kann und die dort stehenden Gebäude. Keinen Außenstehenden interessiert das, aber ich war gern in alten Kaffeehäusern, um dort Zeitung zu lesen. Drei besonders schöne sind verschwunden, mitten in der Altstadt: Die Cafés Schucan, Kleimann und  Grotemeyer. Ihr Betrieb lohnte sich nicht mehr, die Freizeitgewohnheiten haben sich geändert und damit auch die Nutzung. Das ist unvermeidlich, trotzdem trifft es die Gedanken, die sich an unvergessliche Augenblicke dort erinnern, auch mit anderen Menschen, zu denen es schon längst keinen Kontakt mehr gibt.

Die Methode der Meditation wird oft unterschätzt. Es ist die Konzentration auf eine Hauptsache und das Abstreifen von Nebensachen. Das lässt sich trainieren und funktioniert sogar in überfüllten Biergärten. Die drei gerade erwähnten Beispiele gehörten viele Jahre lang zum Alltag. Konzentriert man sich darauf, werden die Einzelheiten immer deutlicher, Querverbindungen und Ursachen dafür. Nur Eines ist ausgeschlossen: Die Wunschvorstellungen der Schönfärberei, Verklärung. Sie versperren den Blick und landen direkt bei Pinocchio. Das müssen keine absichtlichen, faulen Lügen sein, aber man kommt nicht weiter damit.

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