20.11.2019. Südamerika ist weit weg. Aber manchmal öffnet man eine einzige Tür, und von drinnen hört man Samba-Musik oder mexikanische Rhythmen. Das passt gut zur dunklen Jahreszeit, weil allein die Klänge schon Assoziationen auslösen. Sommer. Sonne. Meer. Und wenn dann drinnen eine sparsame brasilianische Dekoration den Rest der übrigen Ausstattung nicht erdrückt, dann reichen schon eine Ananas auf der Theke oder andere Kleinigkeiten, die Stimmung zu verbessern. Entscheidend ist, dass Nichts übertrieben wird, denn sonst entsteht optische Unruhe, und der gewünschte Effekt löst sich spurlos auf. Genauso ist es mit den jetzt fälligen Weihnachtsdekorationen. In dem erwähnten Lokal steht jetzt ein Tannenbaum im Fenster, aber in unauffälligem Grau, das von farbigen Lampen in Grün verwandelt wird, genauso auch andere Gegenstände.
Obwohl sonst Bistro-Stimmung herrscht, mit großen Fotos von Schauspielern der Sechziger Jahre und fernen Erinnerungen an unvergessliche Stimmen wie Marlene Dietrich oder Maria Callas im Foto-Großformat, kommt bei den winterlichen Farbtupfern sogar die Stimmung auf, sich einmal über Weihnachtsnärkte und Adventskalender zu unterhalten, und selbst, wenn nur drei Gäste dabei sind, fällt Jedem etwas dazu ein. Das heißt: Eine starke Wirkung erzielt man nicht durch laute Knalleffekte, sondern auch durch Andeutungen. Zum Beispiel eine einzige langstielige dunkle Rose, in einer weißen Vase auf der Theke, kann märchenhafte Bilder und Gedankenverbindungen auslösen. Und weil es draußen früh dunkel wird, reichen manchmal ein paar wenige, aber starke Lichter, um einen ganze Raum zu verwandeln. Optische Sensationen können dagegen völlig kalt lassen. „Ein Effekt ist eine Wirkung ohne Ursache.“ (Richard Wagner).
Ähnliche Überraschungen erlebt man jetzt in der ganzen Stadt, allerdings muss es keineswegs immer ein Dämmerlicht sein. Das geht auch anders. Das sparsame, aber helle Licht auf manchen Plätzen hat schon aus der Ferne eine starke Wirkung, und wenn man sich dann langsam dem Ziel nähert, ist es oft auch keine Enttäuschung, im Gegenteil. Für die Lektüre von dicken Büchern oder das Anschauen guter Filme, für die man sich im Sommer keine Zeit nimmt, ist jetzt die richtige Zeit. Und auch Gespräche, die oft rasch und hektisch ablaufen, haben jetzt das richtige, nachdenkliche Tempo, und man kommt dabei tiefer als nur unter die Oberfläche. Das ergibt sich manchmal spontan. Auch einfache Themen haben oft ein gutes Echo, und wenn es komplizierter wird, dann lohnt sich die Konzentration. Und im Nachklang entsteht eine Wirkung, die manchmal erst Tage später sich entfaltet. Das ist das Fundament für Verbesserungen und Gestaltungsmöglichkeiten der Wirklichkeit, und manchmal wird daraus eine Eigendynamik, die ein Einzelner gar nicht planen und voraussehen kann.
Mit Schrecken denken Manche an den bevorstehenden Totensonntag. Aber der junge Johannes Brahms hat mit dem „Deutschen Requiem“ ein Meisterwerk komponiert, das zwar mit diesem ernsten Thema umgeht, aber dafür Klänge findet, die voller Freude und Hoffnung sind. Hier kann man das hören: