Samsons Tempel

19.10.2021. Ganz alte Geschichten haben kein Verfalldatum, wenn der Inhalt lebendig ist. Nach dem Auszug aus Ägypten landete der biblische Held Samson bei den Philistern. Er verfügte wie Herakles über übermenschliche Kräfte. Seine Widersacherin und Verführerin Delila entriss ihm sein Geheimnis  und brachte ihn dadurch zu Fall. Sie war eine habgierige Frau. Samson flehte dann noch einmal zu Gott. Die Säulen des Tempels wankten, als Samson sie zertrümmerte, und der Tempel stürzte unter dem Wehgeschrei der Versammelten ein.

Camille Saint.Saens (1835 – 1921) hat daraus eine Oper gemacht, die so exotisch klingt wie ein starkes orientalisches Duftwasser riecht. Eleganz und Leidenschaft reichen sich abwechselnd die Hand. Ob das nun im französischen Original gesungen wird, ist deshalb egal, weil man sowieso nichts versteht. Die Stimmen und das große Orchester hören sich an wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht, auch wenn es den Wein erst in den Opernpausen gibt. Und selbst dort braucht man ihn nicht, weil die musikalischen Düfte von Rosen und starken Gewürzen auch nach dem Ende der Vorstellung nur langsam schwächer werden.

Der Orient spielte im 19. Jahrhundert auch in der europäischen Malerei, Philosophie und Dichtkunst eine Hauptrolle. In den Märchengeschichten aus Bagdad herrschte der weise Kalif Harun al-Rashid, (763 – 809), der tatsächlich dort lebte. Er tauschte persönliche Briefe aus mit Karl dem Großen, der im Jahr 800 vom römischen Papst in Aachen zum europäischen Kaiser gekrönt wurde. Die orientalischen Märchengeschichten aus der Realität wurden in farbige Teppiche der Phantasie hinein gewebt. Aus der Mischung ergab sich eine Schatzkammer des menschlichen Denkens, in Kurzform ein beliebtes Kinderbuch, in der vollständigen Fassung eine ganze Bibliothek, auch für Erwachsene.

Mit 21 Jahren war ich in Münster mit einem gleichaltrigen Palästinenser befreundet. Über Politik redeten wir fast gar nicht, aber das war auch eine andere Welt als der ganz Alte Orient. Auch das Buch mit den weltberühmten Märchen kannte er nicht, und das habe ich bei einer Versandbuchhandlung in London für ihn bestellt. Mit zwei seiner Verwandten begleite ich ihn im Oktober 1978, auf der gemeinsamen Autofahrt, zur endgültigen Rückkehr von Münster nach Amman in Jordanien. Danach habe ich ihn niemals mehr wiedergesehen. Am 3.11.20 habe ich darüber einen Artikel geschrieben: „Reise durch die Angst“ :

https://luft.mind-panorama.de/?s=reise+durch+die+angst&x=11&y=4

In Münster lebten schon vor fünfzig Jahren viele Ausländer. Geographische Entfernungen zu ihren Heimatländern spielten dabei keine Rolle. US-Amerikaner oder Orientalen, das war egal, wenn man gut miteinander umging und dabei Betrügereien nur ein Fremdwort blieben. Auch im äthiopischen Bürgerkrieg flüchteten damals viele Betroffene nach Deutschland. Spenden spielen nicht die Hauptrolle, wenn echte Freundschaften gelingen. Das war damals Alltag. Später in München zeigte oft die nackte Geldgier ihre Raubtierfratzen.

Alle Menschen unterscheiden sich nur äußerlich, das Innenleben hat viele Gemeinsamkeiten. Auch beim anfangs erwähnten Thema von Samson und Delila. Der amerikanische Dirigent James Gaffigan, Jahrgang 1979, zeigt mit seiner leidenschaftlichen Körpersprache, wie man ein Orchester in Hochspannung versetzt. Hier beim entfesselten Bacchanale aus „Samson und Dalila“ :

https://www.youtube.com/watch?v=X67Cguz5J0s

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