5.7.2021. Clemens August von Bayern hatte viele wichtige Ämter, auch im Rheinland und in Westfalen. Unter anderem war er von 1719 bis zu seinem Tod 1761 Fürstbischof von Münster. Sein wichtigster Architekt war Johann Conrad Schlaun (1695 -1773). Dessen unbeschädigte Spuren sieht man noch heute. Er studierte zwar in Bayern, brachte aber die Merkmale des farbenfrohen süddeutschen Barocks nach Norden, wo sie auffallen. Das große Prachtschloss in Münster, der adelige Erbdrostenhof und ganz abgelegen, das fürstliche Jagdschloss Clemenswerth im Emsland, weit weg, in einem menschenleeren, einsamen Wald. Schlaun war lebensfroh, ein Ögemälde zeigt seine rote Nase, und er hatte den Spitznamen „Monsieur Le Vin Rouge“ (Herr Rotwein). Ein wenig wie Fremdkörper wirken seine auftrumpfende Prunkbauten im typischen Bauernland Westfalen, wie Zeichen aus einer anderen Welt. Damals auch ein Grund, sich mehr für Süddeutschland und seine farbenprächtigen Merkmale zu interessieren, die mit vielen anderen Motiven immer mehr an Kraft gewannen, von jährlichen Kurzbesuchen bis zum Aufbruch in eine vorher unbekannte Welt, die aber aus Filmen und Büchern gar nichts Neues mehr war. Der grobe Unterschied zwischen Traum und Realität war ernüchternd, aber anfeuernd. Denn viele Jahre blieb das nur eine Sehnsucht nach dem Unerreichbaren. Damit kann man leben, allerdings andere Leute nicht. Daraus entstehen Spannungen, Krisen und Selbstüberschätzung. Also grenzenlose Zeitverschwendung. Gleichzeitig verlorenes Geld, das wie schwerer Nebel im Mittagslicht spurlos verschwindet.
Mit offenen Augen sind ländliche Gegenden voller unbeachteter Einzelheiten und Überraschungen. Als Kind war Münster zu weit weg, nämlich 55 Kilometer. Ein Auto gab es erst viel später, und das war die Leitstelle für längere Reisen. Auch Einkäufe und Spaziergänge in den Nachbarorten klappten leichter. Vor Allem steigerte sich der Zeitgewinn, beim Weg zur Arbeitsstelle und in der Freizeit. Also ließen sich noch mehr Kosten sparen, wenn man nicht weit vom Stadtzentrum entfernt war. Morgens an freien Tagen, der erste Kaffee beim Zeitunglesen, nebenan der Wochenmarkt am Domplatz. Tagsüber kam die Abwechslung von selbst. Die Menschenmassen verloren ihre Anonymität, zu planen war dabei nichts. Wer zufällig auftauchte, ging auch wieder von selbst. In den Großstädten ist das leider nicht überall so. Herumtreiber strömen durch die Straßen und suchen kostenlosen Anschluss, um dummes Zeug zu erzählen. Zeitverschwendung. Auf dem Lande ist es überschaulicher, und die Störungen fallen schneller auf. Das ist keine universale Richtschnur, aber ein praktisches Hilfsmittel. Dabei lernt man Vergleiche auszuwerten. Als Neuling landete ich einmal bei ein paar schweigsamen Biertrinkern, die nur darauf warteten, dass ihre Zeit verging. Einer sagte ganz offen, „Ich werde immer allein sein.“ Tatsächlich war er das gar nicht, aber er fühlte sich so. Offensichtlich nicht zum ersten Mal. Dabei bleibt es, wenn die Interessen sowieso schon gering sind und nicht mehr aktiviert werden. Keine Seltenheit bei jungen Leuten, bei älteren ist das oft gar nicht mehr zu ändern.
Am stärksten sind Abende, an denen die Energie noch nicht verbraucht ist. Ein Balkon zur Straße, ein Lokal. Auch alle anderen Treffpunkte für Gespräche. Wenn nichts dabei herauskommt, gibt es andere Orte. Nach einem Sonnenuntergang zeigen sich manchmal noch hellwache Köpfe, die es wert sind. Oder die klare Erinnerung daran. Wenn man selbst im Hochsommer nicht merkt, dass es am Himmel immer dunkler wird, gibt es einen Grund dafür.
Die Nähe konkreter Orte ist für gespeicherte Erinnerungen ganz unwichtig, weil sie ablenken können. Die allgemeinen Informationsmethoden werden sich auf immer mehr Datenspeicher konzentrieren. Der Inhalt ist meistens frei, aber der Wert richtet sich danach: Hauptsachen auswählen, bewerten, vergleichen, das sind die Fernrohre der Zukunft, wie Telekospe, die tief in den Weltraum schauen. Das Ergebnis ist dann ein anderes Thema.
Die Musik von Händel (1685 – 1759) erinnert an seinen Zeitgenossen in Münster, Johann Conrad Schlaun. Beide waren energisch, temperamentvoll und nachdenklich:
https://www.youtube.com/watch?v=joVkx20oVIg
.