15.12.2021. Sehr gute Experten können auch Dummköpfe sein. Unser Musiklehrer weckte die Begeisterung für Mozart, Beethoven und Bach, aber die Musik von Richard Wagner durften wir niemals hören: Dafür fand er nur das Wort „Verbrecherkomponist“. Gemeint war damit ein ganz Anderer: Adolf Hitlers Begeisterung für diese Musik, die schon 50 Jahre vor seiner Machtergreifung mit dem Tod des Komponisten ihren Abschluss fand. Damals war mir das egal, aber im Unterricht nahmen wir auch das „Nibelungenlied“ durch, das starke Bilder vom Mittelalter enthielt. Und eines Tages las ich im Radioprogramm den genauen Besetzungszettel für „Siegfried“. Das war der Türöffner für Alles, was danach folgte. Im privaten Bekanntenkreis interessierte sich Niemand dafür, aber das machte auch nichts.
Mein erster Besuch im Bayreuther Festspielhaus war erst im August 1986. Zehn Jahr später folgte der zweite. Darüber habe ich kürzlich den Artikel geschrieben „Die fränkische Entenmühle 1996“. Als zahlender Gast wurde man in Bayreuth immer gut behandelt. 1986 gab es sogar eine private Unterkunft bei einem alten Ehepaar, das direkt neben der Polizeistation am Markt wohnte. Ihr Schlafzimmer überließen sie den Gästen. An der Wand hing der gerahmte Spruch „Die Treue kommt zuletzt zuerst“. Sie werden also in ihrer Jugend kein Kind von Traurigkeit gewesen sein. Beim Frühstück erzählten sie Anekdoten. Er war Statist auf der Bühne und hatte im Küchenschrank eine Kopie des Gralskelches, die er stolz erklärte. Damals wirkt die Stadt sehr exklusiv und war das Ziel von Prominenten, auch aus der erstbesten und nicht ganz so empfehlenswerten großen Gesellschaft, die Millionen auf ihren Konten und in ihren Traumvillen versteckten. Diese dunkle Seite der Stadt hat mich immer mehr fasziniert, weil ich von 1989 an jedes Jahr dort war, auch ohne eine teure Eintrittskarte,. Wolfgang Wagner schenkte gelegentlich den wichtigsten Besuchern eine Weihnachtskarte, mit zwei beigefügten Eintrittskarten. Als Leiter des Familienbetriebs war er dazu auch berechtigt. Als er später eine Stiftung aufbaute, verbesserte das sofort die finanzielle Situation am Grünen Hügel. Die Verteilung der Eintrittskarten war dann nur noch eine Aufgabe des Stiftungsrats, dem auch Mitglieder der Bundesregierung und des Freistaats Bayern angehörten.
Mich hat das damals Alles nicht interessiert, aber die Satzung der Stiftung steht offen im Internet. Und wer sich wirklich für Bayreuth interessiert, findet noch viel mehr, schon in den ersten zwanzig Jahren, als ich noch gar nicht im Internet war. In den Vorstellungs-Pausen gab es auch oft Zufallskontakte. Manchmal konnte man eine zweite Karte, mildtätig und preiswert, vor der der Tageskasse verkaufen. Einmal war das ein Mitglied des Festspielchors, der kostenlos jederzeit ins Haus kam. Aber er wollte mir aufmerksam zuhören und beteiligte sich danach energisch an den Diskussionen in einem offenen Internetforum. Am Grünen Hügel habe ich ihn nur noch einmal gesehen, ihm aber, vor dem Bücher-Kiosk, das Pseudonym zugerufen, mit dem er sich tarnte. Seine Begleiter schauten sich fragend an, aber ich habe gar nichts mehr dazu gesagt.
Die Welt ist voller Geheimnisse, die auch geschützt werden müssen. Das ist hier die Regel Nummer Eins. Wenn dabei große Chancen verpasst werden, müssen die Beteiligten sich nur einmal selbst analysieren. Dazu gibt es hier das Kapitel „Psychoanalyse“, mit bisher 63 eigenen Beiträgen.
Von der Stadt Bayreuth habe ich im Frühjahr 2019 Abschied genommen und bedauere das auch nicht. Wolfang Wagner konnte da ganz anders sein. Die Sängerin Birgit Nilsson, einer der Superstars seines Bruders und Vorgängers Wieland, berichtete in ihren Memoiren von der letzten Tristan-Vorstellung, in der Ausstattung des damals bereits verstorbenen Wieland. In beiden Pausen ließ Wolfgang die Dekorationen hinter dem Festspielhaus verbrennen. Und zog damit einen Schluss-Strich. Sein gutes Recht, aber das hätte man auch anders gestalten können. In jedem Familienbetrieb gibt es Streitereien, aber über die Methoden kann man auch streiten.
An meiner Bewunderung für die Wagnerwerke hat das überhaupt nichts geändert. Meine Freunde konnten mir, auch bei Krisen, immer vertrauen. Und meine Feinde haben die Sicherheit, das ich hier keine schmutzige Wäsche wasche. Viel wichtiger sind die Regeln, die unsere Welt regieren. Werden sie nicht beachtet, zerstören sie alle Pläne und Investitionen. Wenn Jemand mit den Universalgsetzen gut leben kann, winkt nicht ständig das große Geld. Aber manchmal auch das, wenn es sich nicht zu wichtig macht.
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