9.9.2019. Geht man durch die Menschenmassen der Großstadt, sind die Meisten Unbekannte. Man kann nicht mit Allen sprechen. Aber selbst wenn sie schweigen, sagen sie doch viel. Zum Beispiel ein junger Mann mit einem kurzen chinesischen Haarzopf. Dazu noch ein asiatisch wirkendes Gesicht. Spricht man dann doch mit ihm, ist es ein Bayer aus dem Dachauer Land. Und er interessiert sich für fernöstliches Denken. Die Spur war also richtig, aber nur auf einem Umweg. Yin und Yang. Schwarze und Weiß. Die Unterschiede ergeben eine Einheit.
Zwei junge blonde Frauen haben sich in einem Bistro ein gemeinsames Frühstück bestellt. Selbst für Beide ist die Portion viel zu groß. Da bieten sie dem unbekannten Tischnachbarn spontan an, einfach mit zu essen. Das ist besser als der Normalfall, wenn nicht verzehrte Speisereste, hier eine Augenweide aus Käsesorten, Wurst und Brot, einfach weggeschmissen werden. Wer zu viel hat, kann etwas abgeben. So steht es im Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Wenn auch in armen Staaten das so selbstverständlich wäre, dann ginge es Allen besser. Nicht nur beim Essen, sondern in jedem Bereich.
Noch stärker war das Wiedertreffen mit einem kleinen Ort, dessen Besuche vor drei Jahren durch einen Streit ganz abbrachen. Dann kam ein kluger Mensch, der wollte unbedingt dahin, weil er sich dort oft wohl gefühlt hatte. Also ging ich mit. Und wurde äußerst freundlich empfangen, dank des angesehenen Begleiters, dem Niemand zu widersprechen wagte. Vor einer Woche war das auch so, sogar allein, wie in guten, alten Zeiten. Das Wort „Bello“ bedeutet im Italienischen nicht nur „Schön“, sondern man sagt es auch als Gruß zu Freunden und Bekannten. Vor einer Woche standen auf allen Tischen rote Rosen. Bei mir standen zwei, obwohl ich diesmal allein war. Ein Zufall. Und doch mit einer starken Bedeutung aufgeladen, die kein Anderer dort verstehen konnte.
Letzte Woche in der Straßenbahn, zufällig ganz nah, ein junger Südländer. Auf seinem weißen Hemd steht nur der Satz: „Face to Face“. Von Angesicht zu Angesicht. Also offen, ohne Hinterlist. Das scheint sein Lebensmotto zu sein. Oder er will damit täuschen. Das lässt sich klären. Aber solche Botschaften aus einem großen Angebot sucht sich Jeder freiwillig aus. Sie laden ein zum Dialog. Was dabei herauskommt, kann überraschend sein. Oder nicht wiederholenswert. Solche Schriften senden wortlose Botschaften. Auch Formen, Farben, Schmuckstücke, die nicht immer sofort veständlich sind, aber den Träger unterschwellig ansprechen, selbst wenn er sie nicht deuten kann. Sie lösen Signale aus und Reaktionen, auch wenn das Meiste belanglos ist und sofort wieder vergessen werden kann.
Diese Kunst beherrschte Alfred Hitchcock. Einer seiner Früwerke heißt „Der Mieter“, doch die Hauptrolle spielt dabei der Londoner Nebel, in dem sich Unheimliches abspielt.
Später bevorzugte Hitchcock leuchtende Farben und starke Helligkeit an den Orten des Grauens. Sein bedeutendster Film „Der unsichtbare Dritte“ verwendet kräftige Farben. Und der ahnungslose Held Roger Thornhill (Cary Grant) muss am Rand einer einer einsamen Landstraße, die grell vom Sonnenlicht überflutet wird, vergeblich auf ein verabredetes Treffen warten, stattdessen sich jedoch gegen einen attackierende anonymen Hubschrauber wehren, dessen Pilot nicht erkennbar ist und der Thornhill umbringen soll, im Auftrag des „unsichtbaren Dritten“..
Hitchcocks vorletzter Film „Frenzy“ ist die Krönung und Zusammenfassung aller seiner Ideen. In seiner Geburtsstadt London zeigte er alle berühmten Schauplätze, vor allem den Arbeitsplatz seines Vaters, der Obsthändler auf dem Markt von Covent Garden war. Die zentrale Handlung läuft jedoch meistens in kleinen Hinterzimmern ab, wo ein lächelnder Krawattenmörder den Verdacht auf seinen besten Freund lenken will, aber am Ende damit scheitert. Wie immer löst Hitchcock alle Spannungen und Ängste auf, zeigt rasch den wirklichen Täter, also die Ursache und bereichert damit den Horizont seiner Zuschauer, die mehr wissen als alle ahnungslosen, gleichgültigen Bekannten des zu Unrecht Verdächtigen.
Dieser Film beginnt nicht in kleinen Räumen, sondern mit einem weiten Panorama-Blick auf die Themse. Die Kamera befindet sich in einem fliegenden Helikopter, der langsam immer tiefer geht und sich der bekannten Tower Brücke nähert. In der Realität ist das streng verboten, aber der Londoner Altmeister bekam eine Sondergehmigung. Für sein von triumphierender Orchestermusik begleitetes, visuell einmaliges Filmvorspiel öffnen sich sogar die beiden geschlossenen Brückenflächen wie offene Flügel, und die Kamera fliegt zwischen den beiden Türmen hindurch, immer näher in die Stadt hinein, wo Alles dann sehr spannend wird.
https://www.youtube.com/watch?v=1grFqZ5Zn-k