5.6.2021. Siebenmeilenstiefel verleihen dem Benutzer die Fähigkeit, in kurzer Zeit weite Entfernungen zurückzulegen. Als solche Märchen im 19. Jahrhundert geschrieben wurden, gab es noch keine Flugzeuge. Am 19.2.1834 fuhr die erste Lokomotive von Nürnberg nach Fürth und wurde immer beliebter. Die rumpelnden Pferdekutschen verschwanden, das Reisen wurde preiswerter.
Siebenmeilenstiefel waren nichts als eine Phantasie, genauso wie die Fliegenden Teppiche in den arabischen Märchen aus 1001 Nacht. Aber eine alte Sehnsucht. Wenn der Mensch zu den Zugvögeln am Himmel hochschaute, bekam er im Herbst Lust, mitzufliegen, in wärmere und hellere Länder. Eine Sehnsucht nach dem Unerreichbaren, mit der manche Fanatiker ihr ganzes Leben verschwenden und ruinieren. Mit Märchen kann man herrlich träumen, als Kind. Doch statt der ständigen Reisen, die längst nicht mehr viel Neues bringen, kann Jeder sich auch zurücklehnen und auf ganz andere Bilder schauen, die im Innenleben gespeichert sind. Das erzeugt Ruhe, weil die Fehler der Vergangenheit sich nachträglich nicht mehr löschen lassen, aber eine Fundgrube sind für Vergleiche und Bewertungen. Auf langen Listen lässt sich das aufzählen und beurteilen. Die Computer überehmen dabei die meiste Arbeit. Aber die Lücken lassen sich nicht vollautomatisch schließen. Ständig stößt man auf halb fertige, fehlerhafte, zu teure und schlecht geplante Projekte, die Niemand will. Erst vor ein paar Monaten habe ich begriffen, dass in meiner Geburtsstadt sehr viel zerstört wurde, um modernen Unsinn aufzubauen. Geärgert haben sich die Leute darüber von Anfang an, aber nichts Näheres darüber gewusst.
Eine Firma beherrschte die ganze Region und verkaufte dort auch ihre Waren. Wer Geld brauchte, bekam einen billigen Kredit mit niedrigen Zinsen, musste aber auch Verpflichtungen für zehn Jahre unterschreiben. Zum Beispiel, nur Waren dieser Firma im eigenen Laden zu verkaufen. Das sind sittenwidrige und verbotene Knebelverträge, aber bis es solche Gesetze gab, waren viele Familien schon ruiniert oder abhängig wie Sklaven. Wir haben viel zu viele Gesetze, aber die wichtigsten fehlen immer noch. Die Lücken haben immer Ursachen: Informationsfehler, Faulheit und geplante Absicht. Wer das nicht weiß, muss es ausbaden, bis Alles leer ist. Oder findet Auswege.
Das war zunächst unangenehm. Damals war man noch auf dicke Bücher angewiesen, aber die juristische Literatur über Knebelverträge und Machtmissbrauch war für Jeden frei zugänglich. Drei Monate lang habe ich das jeden Abend im Wohnzimmer studiert, während die anderen Anwesenden Fussballspiele schauten oder Unterhaltungssendungen. Danach ging es direkt zu einem Termin beim juristischen Leiter der Beutefirma.
Er war völlig überrascht, weil er nur hilflose Bauern gewohnt war. Andererseits wollte er den langjährigen Stammkunden behalten. Am Ende gab er sogar bei Allem nach, was für ihn möglich war, auch bei den zu geringen Einnahmen. Als wir später den eigenen Laden endgültig verkauft haben, habe ich kein einziges Wort mehr mit ihm gesprochen, und dann hatte er gar kein fremdes Eigentum mehr, um es einzustecken.
Das war wie eine Kettenreaktion oder eine Schneelawine, die sich langsam in Bewegungs setzt, aber von Niemandem mehr angehalten werden kann. Viele Jahre lang war das ein ganz natürliches Erfolgsrezept, ohne Irgendjemand dabei zu betrügen oder zu täuschen.
Wenn man große regionale Bereiche bearbeitet, ist es unfassbar, wie viel Schmutz dabei zum Vorschein kommt und trotzdem einfach unter den Teppich gekehrt wird. Die besten Saubermacher dabei sind Transparenz, Offenheit und eine klare Aussprache. Wer das nicht mag, ist auf einem ganz anderen Dampfer unterwegs, wie die „Titanic“, die einen Eisblock rammte, ohne dass es vorher einer der Mitreisenden bemerkt hatte.
Sehr melancholisch, langsam und feierlich ist das Largo in Dvoraks „Sinfonie aus der Neuen Welt.“ Eine Musik für alle wechselnden Jahreszeiten und für ihre unveränderlichen Eigenarten. Man vergisst sie nicht, selbst wenn man sie jahrelang nicht gehört hat, und irrt sich dabei, bei solchen ruhig vorbeiziehenden Augenblicken, eigentlich auch nicht:
https://www.youtube.com/watch?v=6IhfxpdXlhc
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