25.8.2020. Eigentlich hat der eigene Lebenslauf für jeden Einzelnen nur wenige Lücken. Beruflich muss er bei jeder neuen Arbeitsstelle die wichtigsten Stationen lückenlos mitteilen, mit Datum und Kenntnissen, Prüfungen. Das Privatleben geht den Chef nichts an. Bei Lügen in diesem Bereich hören sogar die Arbeitsgerichte entchlossen weg, zu Recht. Doch für Hochspannung sorgen die Kollegen, die sich Keiner freiwillig aussuchen kann. Sie belauern jede Bewegung und spinnen daraus Horrorgeschichten zusammen. Eine Fundgrube für Filmemacher. Unvergesslich der Titel, „Wer Kollegen hat, braucht keine Feinde.“ Darin wurde eine junge Architektin von ihrem wohlwollenden Chef als Architektin nach München gelockt. Schon beim Betreten ihres neuen Einzelbüros flüstert ihr die allwissende Abteilungsleiterin zu, „Hier hat Ihr Vorgänger Selbstmord begangen.“ Nach diesem Strickmuster ging es weiter. Wie dieser einzelne Film am Ende ausging, weiß ich nicht, habe aber das gleiche Spiel oft erlebt. Ursachen, Gründe dafür sind gar nicht notwendig. Es ist ein ewiges Charakterproblem, das sich Jahrtausende lang immer wieder erneuert hat. Unvergesslich war das gemeinsame „Zweier-Team“, bei dem ein besonders netter Kollege die härtesten Bremsklötze fest eingebaut hatte. Bei jeder neuen Idee war er entsetzt und blockierte alle beweglichen Zugänge, mit der voraussehbaren Erinnerung, „Das ist eine Vorgabe der Geschäftsleitung !“ Mein zuverlässiger Informant saß jedoch im gleichen Büro. Er wusste und sagte immer, was der Andere gerade hinter meinem Rücken zusammenphantasierte und weiter herumplauderte. Typisch war ein schleimender Aufprall am Montagmorgen. Der Schwätzer betrat ahnungslos den Raum, lächelte breit wie ein gefrorener Grinsemann, begrüßte mich mit feuchtem Handschlag und säuselte, „Hatten Sie ein schönes Wochenende?“ Solch einen Tonfall kann man gut nachmachen. Wenn Einer sonst nichts Wichtiges erfährt, ist er auch schnell wieder weg, und man kann lange lachen. Sein bester Freund war der vorübergehende Abteilungsleiter und andere anfeuernde Motivatoren, mit maßgeschneiderten Beurteilungen, Prämien und Beförderungen, exklusiv für reibungslos nickende Befehlsempfänger, die nicht viel arbeiteten, aber vor fremden Gästen als erstklassige „Leistungsträger“ falsch verkauft und lautstark bejubelt wurden.
Trotzdem war es unterhaltsam, wenn man abends am Lagerfeuer solche Märchen erzählte. Die anderen Cowboys haben auch gelacht! Denn in der geräumigen Farm durfte man keinen Krach machen, weil die Rinderherde schlafen musste, bevor der Farmer sie wieder auf den Acker jagte.
Von der Zeitdauer her ist das Firmen-Gebäude der größte feste Block in jedem Leben. Verwandte im Ruhrgebiet sangen, „Geh mich wech mit die Maloche.“ (Verschone mich mit Arbeit.) Die macht nur dann keinen Spass, wenn sie langweilig, anstrengend und schlecht bezahlt ist, wie bei einem jungen Architekten mit zeitaufwändigem Hochschulabschluss, der nur einen einfachen Platz im Straßenbau findet.
Ein anderer Nachwuchs-Architekt beantwortete die Frage, warum so viele Neubau-Viertel aussehen wie zubetonierte Fließband-Plattenbauten am Ostberliner Stadtrand, mit den Worten: „Die Bauherren wollen das so.“ Im Klartext: Möglichs kurze Planungs- und Bau-Zeiten, niedrige Kosten, dafür hohe Einnahmen, wertvolle Finanz-Investitionen mit Steuergeschenken.
Das ist als Information sehr kurz, aber die Details gehören in die Ausführung der Projekte. Handwerkerrechnungen, statische Gutachten, Verschwendungsprüfungen. Ein italienischer Fachmann sagte mir vor zwei Jahren, nach zwei Minuten, „Jetzt muss ich Bauaufsicht machen.“ Vorher saß er meistens in Straßencafés herum. Auch seine sonstigen Aktivitäten erzeugten ständig Propellerbewegungen, also viel heiße Luft.
Als Pauschalurteil ist das völlig falsch. Die ganze Branche habe ich vierzig Jahre lang hautnah erlebt, Tag für Tag, aus wechselnden Perspektiven, mit einer riesigen Palette aus Methoden und Erfolgsrezepten, die man in keinem Buch finden kann. Traurig war der Fall eines herausragenden Sachbearbeiters, der Jahre vor seinem Rentenbeginn eine persönliche Einladung von seinem Chef bekam, der ihm nur mitteilte, dass alle älteren Mitarbeiter aus Kostengründen eingespart werden sollten. Das war ein Vorstandsbeschluss des leitenden Managements. Und dann war er selbst tatsächlich weg. Seine langjährigen Kenntnisse und Erfahrungen natürlich auch, von seiner beschwerdefreien Kundenbetreuung und seinem persönlichen Dauereinsatz war nicht die Rede.
So entstehen ausgeräumte, leer gefegte Kassen. Existenzbedrohende Fehler in großen, schwerfälligen Systemen. Wie Geisterbahnen mit lebenden Untoten, die einfach weiter rumpeln und rattern, obwohl längst Feierabend ist. Das Betriebsklima geht natürlich auch zum Teufel, das starke Anreize schaffen kann. Vor zehn Jahren hieß die Lösung für alle Spätgeborenen: „Vorzeitiger Ruhestand“. Das war gut durchgerechnet. Aber nicht als Dauerzustand. Links und rechts wirkten noch ganz andere Motoren. Wer wegschaute, hatte damals schon verloren.
Das sich ein riesiges Gebäude aus ganz einfachen Strukturen immer mächtiger aufbauen kann, lernt man bei Anton Bruckner. In seinen Sinfonien hört man außerdem eine geistige Kraft, wie man sie auch aus Kathedralen kennt. So wie hier:
https://www.youtube.com/watch?v=r3azmoyoFqc
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