Aus der Steinzeit der Musikaufzeichnungen

11.9.2021. Die besten Musikaufnahmen aller Zeiten sind nicht durch fehlerlose Digitaltechnik entstanden. Aber die Elektronik macht es heute kinderleicht, Stimmen wieder zu vollem Klang zu erwecken, die vor 160 Jahren auf den Musikbühnen Triumphe feierten. Wenn sie vierzig Jahre später immer noch erfolgreich waren, konnten sie vor alte Mikrofone treten. Die Aufzeichnungen werden seit Jahren durch Restauratoren bearbeitet, die alle Störungen, Knistern und Knattern, herausfiltern, aber den Klang nicht beschädigen, sondern akustisch steigern.

Das rettet auch die Interpretation. Das Wichtigste. In Wien entstand am 22.6.1935 eine Studio-Aufnahme des ersten Aktes von Wagners „Walküre“, die seitdem alle Vergleiche mühelos übertrifft. Bruno Walter als leidenschaftlicher Dirigent. Lotte Lehmann als hellwache, glasklare Sieglinde. Lauritz Melchior (Siegmund) hatte eine Riesen-Stimme, von Natur aus, aber auch wenn er leise sang, enrfaltete sich ein ganzer Kosmos. Drei Jahre nach der Aufnahme flüchteten die drei Künstler aus Wien nach Amerika und kehrten nie wieder zurück. Denn am 13.3.1938 rief Adolf Hitler, vor laufenden Filmkameras, auf dem Balkon der kaiserlichen Hofburg:  „Hiermit erkläre ich, vor der Geschichte, den Anschluss meiner österreichischen Heimat an das Großdeutsche Reich.“ Melchior und seine Kollegen waren Juden, und sie wussten genau, was das bedeutete. Sämtliche großen Wagner-Rollen mit Lauritz Melchior existieren vollständig, als Aufzeichnungen der Metropolitan Opera in New York. Keine davon ist zweitklassig. Das Schwierigste fiel ihm ganz leicht.

Als Jugendlicher hörte ich  das im Radio, und es wurde auf einer großen Tonband-Spule aufbewahrt. Die Steinzeit-Technik ist unüberhörbar, aber der Ausdruck unübertrefflich. Ein inneres Feuer, das sich immer mehr steigert. Die Bilder vermisst man nicht, weil die Sprache so bildermächtig ist, dass die Phantasie genug Arbeit damit hat. Ein Höhepunkt ist das berühmte „Winterstürme wichen dem Wonnemond“. Vorher springt die Tür der einsamen Waldhütte weit auf. Der vorherige Gewittersturm ist verschwunden, und  leuchtender Vollmond verjagt die Nacht. Ab diesem Augenblick ahnen Siegmund und Sieglinde, dass sie sich schon lange kennen. „Mir ist, als hörte ich deine Stimme schon als Kind. Doch Nein, ich hörte sie neulich! Als meiner Stimme Schall widerhallte im Wald.“ Sie werden immmer heftiger. Zwillinge, die schon früh auseinander gerissen wurden. Zum Schluss ruft er: „Braut und Schwester, bist du dem Bruder. So blühe denn, Wälsungenblut!“ Der Bühnenvorhang schließt sich rasch. Aber die Musik gerät in höhste Ekstase, nur ein paar Augenblicke lang,  noch. Bis die große Tragödie beginnt. In dieser Nacht wird Siegfried gezeugt. Gestern habe ich erklärt, wie er später selbst die Liebe entdeckte, unter dem irreführenden Titel „Nichts ohne Ursuppe“ :

https://luft.mind-panorama.de/ursuppe/

Zitat: „Das Finale von „Siegfried“. Als er die schlafende Göttertochter Brünnhilde mit einem Kuss weckt, beginnt sie mit den jubelnden Worten: „Heil dir Sonne! Heil dir, Licht.“ Aus dem Sonnen-Gesang wird ein großer Liebes-Gesang der beiden, deren Gemeinschaft später durch einen hinterlistigen Mord zerstört wird. Bei dieser gewaltigen Hymne an die „Allmacht der Liebe“ meint man, dass die Gipfel der Alpen erzittern.“

In der „Götterdämmerung“ geht Alles unter. Siegfried wird von Hagen, dem Sohn des satanischen Zwergs Alberich, hinterhältig ermordet. Als er verzeifelt stirbt, lässt Wagner noch einmal das große Orchester aufbrausen, mit dem Sonnen-Gesang, bei dem Siegfried seine Braut zum ersten Mal kennenlernte. Danach folgt der große Trauermarsch, in dem alle Stationen auf dem Lebensweg von Siegfried noch einmal musikalisch zu hören sind.  Hier dirigiert das Georg Solti, 1964 bei seiner preisgekrönten Studio-Aufnahme in Wien:

https://www.youtube.com/watch?v=nkOiKy6sXfM 

Als Wagner am 13.2.1883 in Venedig starb, brachte ihn ein Sonderzug zurück an seinen Wohnort. An jeder größeren Station hielt der Zug. Herbei geeilte Orchestermusiker spielten den Trauermarsch.

Der gesamte erste Akt der „Walküre“ ist, in der berühmten Wiener Aufzeichnung mit Lotte Lehmann und Lauritz Melchior,  ungekürzt. Hat man ein Textbuch griffbereit, versteht man jedes klare Wort noch besser. Hier ist diese Aufnahme (64 Minuten):

https://www.youtube.com/watch?v=McL9XgzhkPo  

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